Freundeskreis Klassische Yachten

Diskussionsbeiträge: Die klassische Yacht
  
Anmerkungen zur Begriffsdebatte um die „klassische Yacht“

Dr. Ingo Heidbrink, Deutsches Schiffahrtsmuseum

In den vergangenen Jahren entstand an unterschiedlichsten Stellen eine teils leidenschaftlich geführte Diskussion darüber, was unter Begriffen wie klassische Yacht, historisches Wasserfahrzeug, Museumsschiff usw. zu verstehen sei, beziehungsweise wie sich diese Fahrzeuggattungen von anderen Wasserfahrzeugen abgrenzen lassen. Diese Debatte wurde überwiegend aus dem Kreis der Betreiber solcher Fahrzeuge geführt und fand ihren Niederschlag in den unterschiedlichsten mit der „Szene“ in Verbindung stehenden Medien.

Für den im Bereich der Schiffahrtsgeschichte arbeitenden Historiker, der sie mitverfolgte, bot sich teilweise ein Bild, das nur schwer verständlich war. Immer wieder wurden Versatzstücke aus der historisch-methodischen Forschung aufgenommen, die bereits zu Beginn der 1990er Jahre versucht hatte, sich diesem Komplex zu nähern. Inwieweit diese Versatzstücke die ursprüngliche Argumentation der Autoren aufnahmen oder sich hiermit kritisch konstruktiv auseinandersetzten, sei dahingestellt, doch ist ihnen nahezu vollständig eines gemein: Die ursprünglich für die Erweiterung des historisch methodischen Instrumentariums gedachten Überlegungen wurden aus ihrem Zusammenhang herausgelöst und teilweise als Argumentation für konkrete Alltagsprobleme der Betreiber historischer Wasserfahrzeuge im weitesten Sinne des Wortes genutzt. Warum geschah dies, was sollte damit bezweckt werden und wo liegen die Risiken eines solchen Vorgehens?

Insgesamt läßt sich feststellen, daß die Betreiber historischer Wasserfahrzeuge, die sich traditionell maximal in relativ unstrukturierten Gemeinschaften zusammengefunden hatten, mit einer Vielzahl neuer Verordnungen, Anforderungen durch Versicherer usw. konfrontiert wurde. Ein Teil dieser sah vor, daß historischen Fahrzeugen ein gewisser Sonderstatus zugeordnet wurde, aus dem ein direkter oder indirekter Nutzen für die Betreiber dieser Schiffe resultierte – anders gesagt, ohne solche Sonderregelungen wäre der weitere Betrieb der Fahrzeuge in vielen Fällen unmöglich gewesen. Als Konsequenz entstanden neben dem weiteren Bestand der bisherigen lockeren Vereinigungen Gruppierungen, Vereine, Gemeinschaften usw. die sich exklusiv mit immer spezialisierteren Teilbereichen aus dem weiten Feld der historischen Wasserfahrzeuge befaßten. Sie alle hatten zumindest indirekt zum Ziel, als Interessenvertretung der jeweiligen Klientel zu agieren und genau für diese eine möglichst günstige Position in dem immer weiter geregelten Umfeld zu erlangen. Solch ein Mechanismus setzte dabei zwangsläufig eine klare Abgrenzung der jeweiligen Gruppe voraus, die sich in unterschiedlichsten Satzungen o.ä. niederschlug. Hierbei fanden sich Ansätze, die aus der Sicht der Geschichtswissenschaft zwar als wohlgemeint bezeichnet werden können, doch an einer inhaltlichen Sinnhaftigkeit weit vorbeizielen. Wenn beispielsweise eine Mitgliedschaft in einer dieser Interessengruppen einfach von einem absoluten Mindestalter des betreffenden Wasserfahrzeuges ausgeht, kann dies in einer gewissen Hinsicht als ahistorisches Vorgehen bezeichnet werden, da das Mindestalter immer eine willkürlich gegriffene Zahl darstellen muß und andererseits der konkrete historische Wert eines Objektes wie eines Wasserfahrzeuges oft weniger von dessen Ursprungsbaujahr abhängt, als dem Grad, wieweit es während der Jahre durch Modernisierung von diesem entfernt wurde. Vereinfacht gesagt, ein Schiff Baujahr 1900, von dem bei einer ehrlichen Betrachtung nur noch der Kiel aus dieser Zeit stand und das ansonsten mit modernster Technik ausgerüstet ist, hat mit Sicherheit eine geringere historische Relevanz, als ein Schiff, das vielleicht nur 30 Jahre alt ist, aber die Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Zeit noch dadurch vollständig repräsentieren kann, als es nie modernisiert wurde. Für andere vermeintlich ebenso deutliche und sinnhaltige Abgrenzungskriterien lassen sich zumeist vergleichbare Kritikpunkte aufzeigen.

Insgesamt läßt sich sogar soweit gehen, daß die erfolgte Herausbildung solcher spezialisierter Interessengruppen, die verständlicherweise zunächst ihre jeweiligen Partikularinteressen vertreten, im Sinne der Fortentwicklung der Gesamtflotte der historischen Wasserfahrzeuge eher ein Risiko als eine Chance bedeutet. Getreu dem Prinzip „die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“, werden Fahrzeuge, die vielleicht nicht hundertprozentig in die Kriterien einer dieser Interessengruppen fallen, aus den ursprünglich gemeinsamen Bemühungen um die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für diese Schiffe ausgeblendet.

Die große Besonderheit der historischen Wasserfahrzeuge in Deutschland war stets ihre Heterogenität. Wenn jetzt durch äußere Anforderungen die Rahmenbedingungen diffiziler werden, gibt es grundsätzlich zwei Wege, mit dieser Situation umzugehen. Entweder gilt das Prinzip „rette sich wer kann“ und die Anzahl der partikularen Interessengruppen, die versuchen, für ihre Klientel eine bestmögliche Situation zu erzielen, wird noch weiter zunehmen, oder aber die Gesamtheit der Betreiber versucht offensiv auf diese neuen Anforderungen zuzugehen und ein neues Modell zu entwickeln, daß die Aufspaltung und damit zwangsläufig verbundene Ausgrenzung so weit wie möglich vermeidet.

Wenn für den ersten Weg dann noch Argumentationen der Geschichtswissenschaft aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst werden und schon nahezu drohen, instrumentalisiert zu werden, ist dies um so bedenklicher. Die erstellten methodischen Überlegungen, die vielleicht auf den ersten Blick die Möglichkeit zur Klassifizierung historischer Wasserfahrzeuge beinhalten mögen, waren und sind nicht für diesen Zweck gedacht. Sie sind ein Bestandteil der Fortentwicklung eines quellenkritischen Instrumentariums, das sich nicht mit der Frage des absoluten historischen Wertes eines Objektes befaßt, sondern mit dessen Aussagerelevanz als Quelle in einer historischen Analyse. So kann ein Schiff sowohl für die historische Forschung als Quelle einen nur äußerst geringen Wert besitzen und dennoch einen hohen Wert als historisches Wasserfahrzeug haben, wie beispielsweise vollständige Rückbauten oder auch Repliken, als auch vice versa. Der Quellenwert eines Rückbaus oder einer Replik ist allein deshalb bereits für die historische Analyse begrenzt, da zu dessen Realisierung zunächst Erkenntnisse der historischen Forschung aus genau diesem Bereich herangezogen werden mußten. D.h. die Erkenntnisse, die aus solch einem Fahrzeug gewonnen werden könnten, entsprächen großteils genau denjenigen, die überhaupt erst seinen Bau oder Rückbau ermöglicht haben und zuvor durch anderweitige historische Forschung erschlossen wurden – ein Kreisschluß, wie er im Lehrbuch steht. Andersherum kann ein Fahrzeug, das soweit modernisiert wurde, daß es landläufig niemand mehr als historisches Wasserfahrzeug bezeichnen würde, gerade für die historische Analytik noch immer einen hohen Stellenwert besitzen, wenn gerade die Stufen der Modernisierung Rückschlüsse auf das jeweilige historische Umfeld ermöglichen.

Bereits diese wenigen simplifizierten Darstellungen des komplexen Zusammenhanges, der in den heute oft zitierten und kolportierten historischen Untersuchungen bearbeitet wurde, zeigt, daß diese, obwohl sie für die Fortentwicklung der maritimen Geschichtswissenschaft eine Relevanz besaßen und besitzen, für die Frage der Klassifizierung historischer Wasserfahrzeuge angesichts der heute an deren Eigner und Betreiber gestellten Anforderungen nur wenig hilfreich sein können und auch gar nicht sollen.

Überhaupt scheint für die heute von außen an historische Wasserfahrzeuge herangetragene Problematik der Abgrenzung oft weniger das Schiff an sich interessant, als vielmehr die Art des Umganges mit ihm oder die Philosophie seines Eigners und Betreibers. Noch einmal: Ein Schiff, das zwar nach Jahren alt ist, aber mit modernster Technik betrieben wird, ist noch lange kein historisches Wasserfahrzeug. Ein jüngeres Schiff, das dagegen bewußt einen zeitlich fixierten Zustand tradiert und konserviert, kann es dagegen sehr wohl sein.

Um den von außen gestellten Anforderungen dennoch begegnen zu können, bedarf es anstatt einer Begriffs- und damit entstehenden Abgrenzungsdiskussion, die zudem von außen instrumentalisiert werden kann, möglicherweise eines vollständig neuen Ansatzes. Die Philosophie mit der ein Schiff betrieben wird, schlägt sich zwar indirekt in diesem nieder, ist aber keine unmittelbare Eigenschaft des Fahrzeuges. Sie läßt sich deshalb auch nicht mit harten Kriterien überprüfen, die wie eine Check-Liste abgehakt werden können.

Diese Position, die in vielen Aspekten Argumentationen aus der Entstehungszeit der Traditionsschiffahrt in Deutschland aufgreift, offensiv zu verkaufen anstatt der Anforderung zu genügen zu definieren, welche Schiffe historisch sind und damit ebenfalls zu bestimmen, welche es nicht sind, kann noch immer die große Chance sein, die Vielfältigkeit der Szene zu erhalten. Mit Sicherheit nicht mehr indem sie einfach als fixe Position ohne Handlungsansatz argumentiert wird, doch lassen sich auch aus dieser Optionen aufzeigen, die weit mehr sind als der bloße Streit um Begriffsdefinitionen.

Wie skizziert ist das historische Schiff primär davon abhängig, wie sein Eigner oder Betreiber mit ihm umgeht, bzw. was er selber für eine grundsätzliche Haltung zum Fahrzeug hat. Da dieser Faktor sich allerdings nicht im Sinne einer abzufragenden Position überprüfen läßt, die dann zur einforderbaren Gewährung eines Sonderstatus für das Schiff als historisches Wasserfahrzeug führt, müssen hier neue Wege gesucht werden.

Ein denkbarer Ansatz könnte es sein, daß anstelle eines von außen angelegten zu überprüfenden Maßstabs eine von innen kommende freiwillige Selbstverpflichtung tritt. Diese könnte anders als eine Anforderung von außen durchaus das Verhalten eines Eigners / Betreibers umfassen. Sobald solch eine Selbstverpflichtung ausgesprochen ist, kann auch von außen verifiziert werden, daß der Umgang mit dem Schiff nachhaltig unter diesen Kriterien erfolgt. Ein derartiges Verfahren hätte den Vorteil, daß Schiffe die bei einem der bisherigen Definitionsansätze nahezu zwangsläufig aus dem Kreis der historischen Wasserfahrzeuge herausfallen würden, weiterhin zu dieser Gruppe gehören könnten, sofern mit ihnen adäquat umgegangen wird.

Zusammenfassend läßt sich beobachten, daß der bisherige Verlauf der Debatte um Begriffsbestimmungen aus der Sicht des Historikers nur schwerlich nachvollziehbar ist und größere Risiken als Chancen aufweist. Die Eigner und Betreiber historischer Wasserfahrzeuge sollten sich daher wieder auf ihre ursprünglichen Qualitäten besinnen und nicht in eine Diskussion begeben, die ein großes Risiko aufweist, die Vielfältigkeit der Szene zu begrenzen. Das Konzept einer freiwilligen Selbstverpflichtung auf einen Einsatz der Schiffe und Umgang mit ihnen als historische Objekte mag dabei ein Denkansatz sein, der, wenn er mit demselben Engagement wie die bisherige Begriffsdebatte fortgeführt wird, auf einen erfolgversprechenden Kurs führen mag.




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