KULTURELLES

Segeln im Film

von Ulrich Körner

Warum können nur wenige Spielfilme mit interessanten Segelszenen aufwarten, diese Frage richtete die "Klassiker"-Redaktion an Wolfgang Treu. Er ist langjähriges Mitglied im Freundeskreis, und - in diesem Zusammenhang weit wichtiger – als Kameramann und Mitglied der Deutschen Filmakademie einer der ganz großen Filmschaffenden in Deutschland.

Wasser ist für ihn ein sehr diffiziles Medium, welches nur effektvoll eingesetzt werden kann, wenn es auch verstanden wurde. „Mit Wasser im Film zu arbeiten ist weit schwieriger als mit Feuer.“ Draußen, außerhalb des Studios, ist es unplanbar und stellt damit aus seiner Sicht höchste Anforderungen an jede Produktion. Als Kameramann und passionierter Segler hat Wolfgang Treu bei vielen Filmen hinter der Kamera gestanden, die am und vor allem auf dem Wasser spielen. Macht man es richtig, wird es dabei ernsthaft aufwendig, bedarf eines langen Atems und viel Geduld – also viel Zeit und damit eines entsprechenden Portefeuilles. Das Produktionsteam muß etwas von Seefahrt verstehen und die Gegebenheiten richtig einschätzen können. Ansonsten wird ein nautischer Berater unerläßlich, aber der muß eben auch entsprechenden Einfluß haben. Ist das Rad zu groß, das da gedreht werden soll, sieht man es dem Ergebnis auch an, denn die Natur läßt sich nicht verstellen. Schnell trennen sich Spreu und Weizen. Egal ob im Film gesegelt oder „nur“ Schiff gefahren wird.

„Die See war wie immer“. Aber sie ist es nicht. Wasser ist über den Tag schon ständigen Veränderungen ausgesetzt. Und dann erst von einem Tag zum anderen! Soll es sich nicht nur um eine ganz kurze Szene handeln, sondern gar eine richtige Handlung auf dem Wasser zum Inhalt haben, sind Schnitte unvermeidlich und müssen natürlich hinterher zu einander passen. Da kann nicht die windbewegte dramatische Szene abrupt in halber Flaute zu Ende gehen. Der Hintergrund, oftmals in Gestalt anderer Schiffe, variiert ohne daß Einfluß genommen werden kann. Vom Wolkenbild gar nicht erst zu reden.

Mit dem Tageslicht kommen weitere Schwierigkeiten hinzu. Es fällt mit dem Sonnenstand immer wieder anders ein, wird vom Wasser entsprechend reflektiert und muss daher ebenso in die Überlegungen einbezogen werden.

Film ist die Meisterschaft der Illusion. Er soll dem Zuschauer ein Erlebnis vermitteln und darf nicht zum Nachdenken über das Gedrehte anregen. Die Wirkung ist entscheidend. Dinge, die ablenken, die den Zuschauer aus seiner gedanklichen Reise herausholen, darf es nicht geben. Trägt die Handlung zudem noch dramatische Züge, wird die Sturmszene unvermeidlich. Spätestens ab 6 Bft. werden aber Außenaufnahmen auf See nicht mehr möglich, schließlich sind auch Dialoge zentraler Bestandteil des Films und sollen hinterher dem Zuschauer rübergebracht werden. Sturmaufnahmen gelingen also nur im Studio und da wird es richtig aufwendig. Windmaschinen müssen her, für die Dramaturgie von Nachtszenen zusätzlich auch gerne Nebelmaschinen, große Wasserrutschen produzieren äußerst effektvoll die Gischt, aber im Hintergrund dürfen Segel nur killen, wenn sie es auch sollen - und sonst eben nicht. Ein loses Backstag, hin- und herschlagend, betont das Spannungsgeladene. Aber bitte das in Lee und nicht – wie leider oftmals - das andere. Das wird jetzt großes Handwerk. Nichts darf den Zuschauer später von der Geschichte ablenken.

Neben vielen TV-Serien und -Mehrteilern, an denen Wolfgang Treu gearbeitet hatte, wie „Hafenpolizei“ (1962 – 64), „Kümo Henriette“ (1978 – 1982) oder „Hemmingway“ (1988) haben wir dann vor allem über mehrere höchst sehenswerte Filme mit maritimem Hintergrund gesprochen, die unter seiner Mitwirkung entstanden sind und an denen er den wahren Aufwand solcher Unternehmen deutlich werden läßt.

Nicht zu vergessen: die erstklassige schwarz-weiß Verfilmung von Travens Roman „Das Totenschiff“, bei der er als junger Kameraschwenker tätig war. Der Film von 1959 mit Mario Adorf und Horst Buchholz in den Hauptrollen hat in Kennerkreisen inzwischen geradezu Kult-Status erworben. Nach langer Suche war im Mittelmeer das richtige Schiff aufgetan worden, nur leider kam es frisch von der Werft und wurde sofort zurückbeordert, um es wieder umzupönen - zumindest auf der im Film sichtbaren Seite. Der nagelneue Schornstein verschwand im Tausch gegen seinen gerade abgebauten Vorgänger wieder an Land. Wolfgang Treu berichtet von stundenlangen Tagesfahrten immer gegen die Sonne, also Richtung Süden und ebenso langen abendlichen Rückfahrten. Für die Strandungsszenen wurde das Schiff, immerhin ein veritabler Küstenfrachter, nachts an der Pier wie auf einer mittelalterlichen Schiffswerft gekrängt. In einer Berliner Halle war das Oberdeck kippbar nachgebaut. Eine umlaufende Galerie trug Gleise für wassergefüllte Kipploren, deren Ergüsse echtes Brandungsgefühl aufkommen lassen. Authentisch wird die bewegte Szene nicht bereits durch Schiefstellen der Kamera und eines Darstellers, sondern erst durch die Gleichförmigkeit des Ganzen, also auch der stimmigen Bewegung eines im Hintergrund aufgehängten Kiekers oder einer Tischflagge und vor allem der des Lichts, das ja nicht sichtbar ist, sondern es erst in der Reflektion wird. Und dann erst das Finale! Das nachgebaute Mannschaftslogis wurde am Kran hängend tatsächlich hinter einer riesigen Glasscheibe im Teich versenkt. Aufnahmen der Totale waren mit einem 1:10 Modell in seichtem Wasser vor Fehmarn entstanden. Dabei muss die Drehgeschwindigkeit erhöht werden, sich der Wellenbewegung anpassen, denn das Ganze darf ja später keine spielzeughafte Wirkung entfalten.

Nach der Vorlage von Hans Leip entstand 1966 „Jan Himp und die Kleine Brise“ mit der jungen Gila von Weitershausen. Der Film spielt in Oevelgönne, dem alten Hamburger Lotsenviertel. Es wird darin auch viel gesegelt, in damals moderner Conger-Jolle. Gedreht wurde auf dem Wasser, tagelang auf der anderen Elbseite hinter den Inseln. Wobei die Kamera –seinerzeit noch wahre Ungeheuer – teilweise auf dem Achterdeck mitgefahren ist. Bei Stativaufnahmen kann dabei der Horizont natürlich nicht gerade bleiben. Wolfgang Treu begann erfolgreich mit stabilisierten Handaufnahmen zu experimentieren. Bei viel Wind saß er - verkleidet als die „kleine Brise“ – sogar selbst am Rohr.

1976 entstand in seltener Übereinstimmung zwischen Regisseur Hark Bohm und der Kamera „Nordsee ist Mordsee“. Schließlich waren beide passionierte Segler, die sich – wie Wolfgang Treu betont - „nicht zum Gespött der Küste“ machen wollten. Der sozialkritische Film behandelt das Leben zweier Jungs in einer Hamburger Hochhaussiedlung und ihr Abenteuer, als sie der Tristesse ihrer Umgebung mit geklauter Jolle in Richtung See entfliehen wollen. Der Drehplan hatte sich nicht nur nach der Tide zu richten, sondern lag je nach Wetter täglich anders. Für eine Beinahe-Ramming war eigens ein Schlepper bestellt, aber der übrige Schiffsverkehr einschließlich warnender Schiffstyphone ist echt. Die „Yacht“ sprach dem Film in einem längeren Beitrag ein dickes Lob aus und bezeichnete ihn als gut gemacht und aus maritimer Sicht wirklich stimmig. An windreichen Tagen sind statt der Jungs die beiden selbst in das Boot gestiegen und prompt gekentert, wobei die Jolle wegen des (aufgrund der „Klauerei“) kaputten Vorluks fast abgesoffen wäre.

Im Zeitalter der Computer-Animation ist sicherlich manches einfacher geworden. Aber auch der Einsatz dieses Mittels verlangt viel Erfahrung, grundlegende maritime Kenntnisse und Verständnis für die Eigenarten der See. Und die Bereitschaft mit der Natur zu arbeiten. Sonst wird das nichts.

Umbraust von Natur, im Studio oder am Computer: Segeln im Film bleibt weiter ein spannendes Unterfangen.



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