REGATTA

200 Klassiker auf Regattatour: Classic Week mit Suchtfaktor!

von Hella Peperkorn

Schauerböen, Starkwind, Schafskälte - Kult! Flaute, Fete, Frieren - Kult! Genießen, Gucken, Gemeinschaft - Kult! Sportlich segeln, selten schlafen, sorgenfrei sonnen - Kult!
Die Classic Week 2010 hatte es in sich. 200 Schiffe - vom Sharpie bis zum 35-Meter Schoner kamen zusammen, ließen in fünf Häfen die Zeit stillstehen und sorgten für eine überwältigende Demonstration von Ästhetik, Eleganz und Dynamik. Wer mittendrin steckte, war im ereigniswirbelnden Sog. Die intensiven Eindrücke auf dem Wasser der Ostseeküste zwischen Flensburg und Kiel und an Land werden bei den 500 Seglerinnen und Seglern noch lange nachklingen.

Jede(r) erlebt seine eigene Classic Week. Für die meisten ist es ein einziges Fest, in dessen Mittelpunkt die klassischen Schönheiten stehen, die einen ganz entscheidenden Teil des Lebens aller Teilnehmer ausmachen. Eine zehntägige Hommage an unseren Sport. An seine Geschichte und an die Menschen, die seinem Zauber verfallen sind - unabhängig von der Jahreszeit, Kosten-Nutzen-Rechnungen oder dem individuellen Budget.

Hinter den Kulissen steht ein ehe-gefährdender Kraftakt für das Organisationsteam. Kommunikation wird großgeschrieben und neu definiert. Am Ende zeichnet jedes Team für „seine“ Veranstaltung verantwortlich. Kurz vor Schluss tun sich noch neue Sponsoren auf - was monatelang nicht klappen wollte, muss auf den letzten Metern noch gewuppt werden – und es funktioniert. Wie immer, wenn ein Event größer ist als die Summe seiner einzelnen Teile und somit seine eigene Dynamik entwickelt, die im Erlebnismoment dann gleichsam überrascht und glücklich macht. Chapeau an die ehrenamtlichen Teams und die mehr oder minder aktiv beteiligten Firmen, die für die alles entscheidende finanzielle Absicherung des Events gesorgt haben! Allen voran Hauptsponsor Oliver Berking selbst, der Kieler Dr. Volker Müller, gefolgt vom Uhrenspezialisten Tutima und Gleistein-Tauwerk.

Die seglerische Teilnahme musste sich jeder auf eigenem Kiel erkämpfen. Viel Wind, noch mehr Regen - dazu die sprichwörtliche Schafskälte. Die Mühe lohnt, denn nach zwei Tagen tut sich das Fenster zum Sommer doch noch auf. Begierig nehmen alle die Wärme und das Licht an. Die Sehnsucht eines Mittsommerabends vor dem Sonderborger Schloss. Den warmen Wind im großen Stadthafen, der wieder in einer Art Mahagoni-Starre verharrt. Blaue Luft – zwar keine „tropical week“ wie vor vier Jahren, aber das Licht des Sommers verzaubert - trotz dicker Jacke.

Die Classic Week hat nach dem Sommermärchen von 2006 jetzt eine neue Stufe erreicht. Eine Veranstaltung, die sich etabliert hat und die von Veranstaltern und Teilnehmern gewollt wird. Sie besitzt schon jetzt Kult-Charakter. Auch als gesellschaftliches Großereignis. Als Suchtfaktor: Wer möchte im Ernst wieder auf den wohligen Schauer des unfassbar Schönen verzichten, wenn die Armada klassischer Yachten sich aus den Förden, Fjorden und Buchten hinausschiebt. Aufs Meer. In ihr Element. Wir durften ein Teil davon sein. Danke. An die Schiffe. Und ihre Menschen.
Wer`s verpasst hat: jetzt schon mal den Urlaub festmachen! In vier Jahren gibt’s eine Neuauflage passend zum 20. Geburtstag des Freundeskreises.

Flensburg
Auf eigenem Kiel angereist. Durchgekämpft durch den frühen Herbststurm. Den Nebel, der uns Schleimünde kaum ausmachen ließ und den Hagel, der unser Anlegemanöver letztendlich doch nicht ruinieren konnte. Festgemacht am Dreier-Päckchen. Innen liegt „Ella“, der wunderschöne Stagsegelschoner, der gerade seinen 75. Geburtstag feiern konnte. Wenige Minuten später macht die gestylte Rennziege „Feo“ neben uns fest, dann noch ein Mini aus England. Wir sind „dicht“. Angekommen! Ein erstes „Hallo!“- und schon beginnt die Classic Week uns zu umgarnen. Musik vom Festplatz in der Hafenspitze, vertraute und unbekannte Masten drängen sich schutzsuchend an den Stegen zusammen. Feuchtkalter Herbst in Flensburg. Aber wir sind da!
Nach der ersten Nacht: lange Gesichter in der ebenso langen Schlange vor der Frühstücksausgabe. Kalt war`s in der Koje - besonders auf den kleineren Schiffen. Die sommerliche Segelgarderobe wird schnellstens aufgepeppt. Dicke wasserdichte (!) Jacken und lange Unterwäsche sind nach unserer Abreise in Flensburg Mangelware...
Erwartungsgemäß muss die Wettfahrt am Samstag gecancelt werden. Wind 6-7 Bft. kein guter Start, die Boote sollen doch eine ganze Regattawoche durchhalten. Für den stressgeplagten Büromenschen ist dieser geschenkte Urlaubstag die Rettung. Haben einige wenige Besatzungen schon den Entspannungs-Einstieg auf den Ochseninseln am Donnerstagabend erleben dürfen, so sind viele doch – wie wir - auf den letzten Drücker angereist. Jetzt dürfen wir uns in Ruhe umschauen, viele Gespräche führen, Schiffe gucken und uns am nordischen Himmel freuen, der dicke Knautschwolken und viel Sonne mit dem Nordseewind hereinweht.

Am Sonntag dann zum ersten Mal: Leinen los! Für 200 Jollen, Jollenkreuzer, Yachten und für „Thendara“. Das Ereignis aus dem Mittelmeer. Eigner Peter Engels, übrigens seit fast 15 Jahren Mitglied des Freundeskreises, war zunächst nur am ersten Flensburg-Tag an Bord - die Stammcrew der „Thendara“ aber blieb und mit ihr die unbeschreibliche Gaffelketsch, die schnell zum bewunderten Flaggschiff der gesamten Veranstaltung werden sollte. Eigentlich nur auf der Durchreise vom heimischen Liegeplatz in Palma auf Mallorca in Richtung Cowes, gefiel es der sympathischen Crew und dem Eigner inmitten der „german classics“ so ausnehmend gut, dass die Pläne kurzerhand geändert wurden.
Für die Classic Week ein echter Gewinn. Ein Hauch von Mittelmeer-Feeling und eine Art von eleganter Erhabenheit, die vielleicht nur ein Schiff solcher Größenordnung gelassen im großen Wurf der Linien und den Bergen feinsten Segeltuchs offenbart. Auserwählte durften mitsegeln und kamen ausnahmslos mit leuchtenden Augen und schwärmend von den Planken: „Thendara“ ist ein Unternehmen, ganz sicher kein Schiff, das man mal eben zum daysailing loswirft. So benötigen z. B. auch die versierten zehn Mann bezahlter Crew eine geschlagene Stunde, um die Segelmassen wieder zu bergen... Engels ließ es sich nicht nehmen (angesichts südlicher Temperaturen), zum „Rendezvous der Klassiker“ vor Kiel wieder an Bord zu sein.
Rauschefahrt auf allen Bahnen, den Regen und gelegentliche Böen stecken alle Teilnehmer gut weg. Nach dem imposanten Einlaufen der klassischen Armada wartet eine fürstliche Belohnung: Sonne, flauer Wind und eine erlesene Dinnerparty in den modern designten Werfthallen der „Robbe & Berking Classics“. Drei Knusperschweinderl drehen sich in der Abendsonne am Spieß, weißbemützte Köche sorgen für ein fulminantes Mahl, im Crasheis wartet kühles Nass. Doch zuvor gibt es eine Vernissage der besonderen Art: Zwei frischaufgelegte 6er in der kleinen Nachbarhalle gewährten den Einblick, wie kunstvoll unsere Schiffe in ihrem Innersten gearbeitet sind. - Eine Handwerkskunst, die auch heute nichts an Faszination verloren hat.
Eine tanzend-lachende Bärchen-Skulptur aus der hauseigenen Manufaktur vergab Oliver Berking für die ersten Sieger der Classic Week. Symbolwert für gute Haltungsnoten? Beim Regattieren, beim Abwettern oder schlicht gegen die alltäglichen (oder staatstragenden) Krisen. Insgesamt ein toller stilvoller Abschluss der ersten Classic Week Etappe.

Mit grauverhangenem Leichtwind schiebt sich die Flotte am Montagmorgen aus der Hafenspitze. Eine entspannte Überführung erwartet die Crews auf ihrem Weg nach Sonderborg. Erstes „Time-out“ nach so vielen Eindrücken. Akkordeonklänge schweben übers Wasser. Französische Musette-Klänge von der „Marike“ neben uns. Etwas Wehmut, die zu uns hinüberweht - Arnulf Dahm, Mitorganisator der Laboe-Classics, nimmt in dieser Woche Abschied von seinem Schiff - nach 20 Jahren. Ab jetzt ist jeder Handgriff versehen mit einem „ein letztes Mal“ - unversehens drängt sich kurz, ganz kurz der Gedanke in den Segelgenuss: Wie wird es wohl bei uns sein, wenn wir uns trennen, das Boot und wir. „Marike“ segelt mutig und gelassen in ihren neuen Lebensabschnitt und hat sich dafür gute Partner ausgesucht: Ein junges französisches Pärchen, das bald eine kleine Familie sein wird. Und die Geschichte der über 50 Jahre alten Yacht schreibt sich fort. Nach 20 Jahren Eckernförde folgen jetzt spannende Zeiten im Tidengewässer vor Brest.

Sønderborg
Im alten Stadthafen zeigt sich die wahre Größe des Unternehmens. Erst hier, wo alle vor historischer Kulisse an der Pier zusammen liegen - ungestört von Hartplastik und Carbonmasten - erhalten Teilnehmer und Sehleute einen unverfälschten Eindruck von der ästhetischen Vielfalt der mitsegelnden Yachten. Verwandte Bootsklassen schwimmen nebeneinander im Päckchen - beste Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen und sich interessante Details im direkten Vergleich „abzugucken“. Leider fehlen einige der „Großen“ - mangels Crew wie die „Trivia“, die direkt nach Kiel zurücksegelte, oder vielleicht aus Zeitmangel wie „Atalanta“ oder „Willow Wren“. Dafür war Hal Sisk aus Irland gleich mit zwei Ladies angereist: Der bereits vor vier Jahren vielbewunderten „Peggy Bawn“ und seiner „Molly Bawn“, einem halb historischen Motorboot der Extraklasse. Nach dem musikalischen Empfang mit Fadøl und Snack im Schlosshof, zeigt sich Sønderborg von seiner historischen Seite. Vier mittelalterliche Lanzenschwinger galoppieren auf der jahrhunderte alten Wettkampf-strecke entlang der Schlossmauer - uns zu Ehren. Ringreiten besitzt in Sønderjyllands Hauptstadt eine lange ehrwürdige Tradition. Die Seglergemeinde staunt, denn beinahe jeder Ring landet auf der Lanze. Der trommelnde Galopp scheint die Wolkendecke aufzulösen. Der zweite Durchgang wird bereits in der Sonne entschieden. Gegenlicht und besonderes Handicap für die Reiter. Der erste dänische Pølser in dieser Saison ist anschließend ein „must have“! Golden lässt die tiefstehende Sonne wieder Mittsommerstimmung vor der Schlosskulisse aufkommen. Alle Hobby-Fotografen wissen spätestens seit dem Super-Foto von Sönke Hucho vor vier Jahren, wo die optimale Location für einen atmosphärischen Glücks-Schuss zu finden ist: Pilgerstrom zur Brücke, die die Stadt vom Alsen Sund trennt.
Der Regattakurs am nächsten Tag bietet ideale Bedingungen: Flotte vier Windstärken, kaum Welle und Sommersonnenschein. Doch zunächst startet das Feld mit ungewollter Verzögerung. „Thendara“ war zu mutig und fuhr nach der Hafenausfahrt den kleinen Schwestern hinterher... Christoph von Reibnitz konnte mit seinem „Peter“, 100 PS, viel Geschick und Umsicht den Großsegler vom Sand ziehen. Dann aber lockte ein weites Dreieck Richtung Høruphav. Bestes Segeln! Leider geriet der dritte Durchgang für einige Teilnehmer denn doch zu lang - oder das vorgesehene Zeitfenster zu knapp. Dummes Gefühl, nach so langer Regatta ohne Zielschuss nach Hause zu müssen. Schade auch, dass ausgerechnet nach diesem heiß umkämpften langen Regattatag keine Siegerehrung auf dem Programm stand. Im Hafen entlohnte die regattamüden Crews dann jedoch Livemusik an der eigens gesperrten Hafenzeile. Ein gemütliches fadøl vor historischer Kulisse und einem einzigartigen Blick auf mahagoniglänzendes Hafenkino beschloss den Tag und die Etappe in Sønderborg.

Die geplante Wettfahrt nach Schleimünde musste einer allgemeinen Geschwaderfahrt weichen. Zu gemäßigt pustete der leichte Nordost die Klassiker-Armada aus dänischen Gewässern. Eine Reise in die Entdeckung der Langsamkeit. Wer warten konnte und auf tuckernde Hilfsmittel verzichten wollte, wurde später am Tag mit einer leichten, aber steten Brise belohnt und durfte langsam an dem langen Strand der flachen Ostseeküste bis in das grüne Schleiwasser entlang rauschen. Vor allem für die Jollen und Jollenkreuzer eine gute Erfahrung, die auch denjenigen Mut machen kann, die dieses Mal, - safety first“, - dem sicheren Weg über Land den Vorzug gaben.

Kappeln
Was morgens im bereits mit Vereinsbooten gefüllten Hafen noch unmöglich schien: Gut organisiert weisen helfende Hände den Seglern einen geeigneten Platz zu und 150 Schiffe kommen ganz lässig im Arnisser Segelclub neben dem historischen Hafen in Kappeln unter. Waren die Crews in Sønderborg im Freizeitpart weitgehend auf sich selbst gestellt, so erreicht die gut funktionierende Lautsprecheranlage mittels vieler freundlicher Durchsagen jedes Boot und einen reibungslosen Ablauf des vollen Aktivitätenkalenders.
Und da wurde die Wahl durchaus zur Qual. Leichte Winde waren angesagt für den kommenden Regattatag und eine Landpartie, die Türen öffnen wollte, die sonst dem Publikum verschlossen bleiben. Angeln und Schwansen sind voller historischer Herrenhäuser, die zur Besichtigung reizen.
Nach dem Überführungstörn und einem heißbegehrten WillkommensFischbrötchen wartet jedoch zunächst das kulinarische Spaß-Highlight der Woche auf die Crews. Ein wellenförmiger Robbe&Berking Löffel öffnet die Türen zu 19 (!) Restaurants in der Kappelner Altstadt. Die Suppentour - vor vier Jahren eingeführt - lockt uns von der Spargelsuppe im heimischen Segelclub bis zur indischen Linsensuppe und der unschlagbaren Fischsuppe am Stadthafen. Eine ungewöhnliche Stadt-Ralley, die für immer neue Tischkonstellationen und Gesprächsmomente sorgt. Live-Musik (und Fußball, der an diesem Abend noch nicht wirkliches Interesse fand,) runden den Sommerabend ab. Der nächste Morgen beginnt mit einem wiederum deftigen Frühstück. Nach dem (sehr wurstlastigen Lufthansa-carepaket in Dänemark und den Rühreierbergen in Flensburg) erklärt die Autorin für sich selbst zumindest eben dieses Rührei zum Tabu (Start: nächste Woche, aber dann für die nächsten drei Monate...). Doch in Gesellschaft schmeckt‘s auch dem eingefleischten Frühstücksmorgenmuffel - zumal, wenn das morgendliche Mahl so liebevoll zubereitet wird wie hier in Kappeln beim ASC.
Die großen Yachten setzen sich in Richtung offene See ab. Auf klug verkürztem Kurs soll hier eine Runde ums gelbbetonnte Schießgebiet regattiert werden. Das Hauptfeld tobt raus auf die Breite zwischen Arnis und Lindaunis. Wetter: Strahlend. Luft: Beinahe Hochsommer. Wind: 2-3 Bft. Auch vor der Küste wartet eine stete leichte Brise auf die großen Yachten, die sich wie glänzende Solitäre vor schneeweißem Sandstrand, grünem Wasser und Azurhimmel abheben. Mittendrin die „Thendara“ in vollem Ornat. Jeder setzt, was die Segelgarderobe so hergibt. Riesige Leichtwindspinnaker, die sonst ein eher trübes Dasein fristen, sind heute gefragt. Klar bevorteilt scheint der Start am Startschiff zu sein – die großen Yachten gehen auf Position. Da setzt sich der nette ältere Herr auf dem schneidigen Nachbarschiff im Startgetümmel seine Pole-Position-Regatta-Brille auf - dumm für alle Beteiligten, denn er verfügt über eine 24-Tonnen-Kampfmaschine und ist offensichtlich auch bereit, sie risikofreudig einzusetzen. Protestgebrüll auf seinem Deck. - Doch da wir uns nicht mehr in den Zeiten von Cäpt‘n Bligh und der viel gescholtenen „Bounty“ befinden, darf die Mannschaft an Bord bleiben, ohne auf dem Leuchtturmfelsen in Schleimünde ausgesetzt zu werden. Alles geht gut, knapp, dank der flauen drei Windstärken - und dem Ausweichen der regelgerecht vorne liegenden Yachten. Der 12er-Skipper nimmt den hart erkämpften ersten Preis am Abend entgegen - im Gegenzug gibt`s für die besiegte Sphinx-Besatzung einen Fairnesspreis für so viel Toleranz im Meterboot-Regatta-Fieber... Vielleicht war dies die „haarigste“ Situation im gesamten Regatta-Circle, der sich vor allem durch Fairness, vorausschauendes und - bis auf einige unangenehme Ausnahmen - auch eher defensives Segeln auszeichnete. Wer selbst im vergangenen Eis-Winter geschliffen und lackiert hat, weiß warum. So ging es auf der Innenbahn im ruhigen Schleigewässer auch wesentlich beschaulicher - und trickreicher zu. Hier haben Revierkundige und Binnensee-Segler die Nase vorn. Nach dem Motto: Da vorn kräuselt‘s - ja, es ist Wind – nein, es ist so überhaupt nicht die layline...

Spätestens jetzt hat jeder seinen Lieblingsgegner gefunden. Unabhängig vom nominellen KLR-Wert, der sicher bei einigen Teilnehmern überdenkenswert erscheint. So viele auffällige Neuerungen, so viel modernes Material, das die Schiffe im Vergleich schneller macht und in eine Neueinschätzung einfließen sollte. (Tipp: Jede(r) kann hier helfen, indem er die Modernisierungen am eigenen Boot schnellstmöglich an Enno Thyen weiterleitet!) Unabhängig von trockenem Zahlenwerk macht das persönliche Kräftemessen mit den echten Konkurrenten immer noch am meisten Spaß und liefert unendlichen Gesprächsstoff für den Klön von Cockpit zu Cockpit. Hier darf jeder herzhaft verbissen oder ernsthaft bitter enttäuscht sein, sich aufrichtig diebisch freuen oder atemlos die Daumen drücken- bis es passt. „Hipp, hipp hurrah!“ Dreifach schallt es vom Lieblingsgegner-Boot herüber - dieses Mal hatten wir die Nase vorn! Morgen geht das herzliche lautstarke Lob an sie zurück.

Kiel
Schon am Abend zeichnet sich der Wetterwechsel ab. Wir bekommen Wind- allerdings aus Nordwest, was eine verhältnismäßig geschützte Rauschefahrt in Richtung Kiel verspricht. Die ersten nehmen die Brücke um 7:45. Laut Vorhersage dreht der Wind gegen Mittag auf. Zwei Stunden später erleben die wartenden Autofahrer eine maritime Extra-Show. 30 Minuten lang braucht es, um rund 100 klassische Schiffe durch die Enge zu bugsieren. Segel hoch und dann schlängelt sich die Armada wie eine Perlenkette durch Deutschlands schönsten Fjord. Das Licht kommt mit dem Blick auf die freie See. Mit der Sonne dreht auch der Wind langsam auf und verschafft uns eine schäumende Hecksee, auf der auch zierliche Schiffe, wie die 15er Schäre „Maca III“ , begeistert zur Kieler Förde surfen. Zum Eingang in die Landeshauptstadt erinnert uns das Meer an weißen Segeln, dass wir jetzt in eine andere Großveranstaltung eintauchen: Die Kieler Woche hat begonnen. Passend dazu die Begegnung mit dem nächsten Jahrhundert an Segelgeschichte: In einem Affenzahn von geschätzten 40 Knoten donnert ein Trimaran durchs Getümmel: l‘Hydroptère. Huch. Knapp am Wind rauschen wir hinterher und finden in der abgeschiedenen Bucht des British Kiel Yacht Clubs erholsame Ruhe. Im Clubhaus läuft zur Begrüßung das Spiel Deutschland-Serbien. Doch wir brauchen etwas time-out, um den Riesenpäckchen die nötige Stabilität zu verleihen (hier mag ich Nachbarn ohne Seereling!) Der Abend gerät zur vorgezogenen Abschlussparty - als ob vielen bewusst wird, dass die so lang erwartete Zeit schon morgen ihr eigentliches Ende finden wird. Herzhaftes Barbeque verschafft jedem die nötige Grundlage, um dann auf Guiness, eine von zehn weiteren Biersorten oder den von den Briten favorisierten Gin and Tonic umzusteigen. Genial: Das Jesse-Grell-Trio, das von 22 Uhr bis in die Morgenstunden der Segelgemeinschaft einheizt. Endlich kann getanzt werden. Ausgelassen und zu echter Gute-Laune-Musik.

Dunkle Wolken und Nieselregen begleiten uns nach echtem english breakfast auf die letzte Regattabahn dieser Classic Week. Die großen Yachten müssen raus zum Stollergrund. Wir dürfen uns auf der Innenbahn zwischen Mönkeberg, Wik und Innenförde tummeln. Zum ersten Mal gibt es kaum Zwischenfälle mit dicken Ausflugsseglern, oder den stets im Pulk auftretenden Marinekuttern. Die Wasserschutzpolizei macht ihrem Namen Ehre und beschützt. Dazu gibt‘s Publikum reichlich entlang der Kiellinie. Und den Sehleuten wird dicht unter Land einiges geboten. Bei fünf Windstärken plus Böen mit mehr und so vielen Schiffen auf der kleinen Bahn ist Action pur angesagt! Auf den Booten heißt das: ein letztes Mal hochkonzentriert segeln, den Lieblingsgegner zumindest im Blick behalten und sich an der eigenen Nase freuen, wenn unterm Wald dann doch genug Wind ist, um schlicht vorbeizusegeln... Bei diesen Bedingungen sind alle Schiffe in time und überhaupt ziemlich bald wieder im Hafen. Auch in diesem Jahr hat der Kieler Yachtclub uns sein „Millionenbecken“ zu Verfügung gestellt, um unsere Kostbarkeiten in der ersten Reihe publikumswirksam zu präsentieren. Vielen Dank dafür!
Eigentlich ist bereits alles geschehen. Das eigene Boot sicher im Hafen, die vielen schönen spannenden und weitreichenden Eindrücke gespeichert, viele neue Freundschaften geschlossen, neue Kontakte geknüpft, manches hinzugelernt. Gut, dass die Kieler Organisatoren um diesen Effekt gewusst haben und noch mal ganz weit ausholten, um die Spitze des Events würdig zu krönen. Das gesamte Kieler Yachtclub-Hotel ist angemietet, in sämtlichen Kaisersälen, Lounges und Terrassen tobt klassisches Yachtleben. Wer kann, zieht die knitterfreie Hose aus dem Bordschrank plus Jackett... Die kulinarische Reise findet im ausgezeichneten Büffet ebenfalls ihren Höhepunkt. Musikalisch ist mit den Kieler Lokalmatadoren „Tiffany“ ohnehin die sichere Seite gebucht. In zwei Etappen wird die umfangreiche Siegerehrung häppchenweise verdaubar gestaltet.
Der Gesamtsieg auf der kleinen Bahn geht an den Laurin-Koster „Kegel“, 1980, Eignerin Britt Lange. Auf der großen Bahn siegte der Achter „Feo“. Ein Boot, das über viele Jahre für das Regattageschehen optimiert wurde und heute auch sehr professionell und erfolgreich unter Eigner Dr. Pit Strepp gesegelt wird. Die kostbare Tutima-Uhr passt denn auch vom technischen Design zur Gesamterscheinung der schnittigen Meteryacht.
Am Sonntagmorgen testen 400 hungrige Segler die Kapazitäten des Frühstücksbuffets. Wieder Rührei! Aber auch gesundes Müsli, Joghurt und frischer Obstsalat. Wir sind wieder „an Land“...


Fotos: Thomas Eibenberger, Ulf Sommerwerck, Katrin Storsberg, pep, wh u.a.



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