REGATTA

Die Havel-Klassik macht Geschichte

Seit 10 Jahren findet beim traditionsreichen Akademischen Seglerverein in Berlin eine Veranstaltung für klassische Yachten statt, die sich zu einem bunten Wochenende mit einer Langstrecken-Regatta auf der 15 km langen Unterhavel von der Scharfen Lanke bis zur berühmten Glienicker Brücke und stabilen Teilnehmerzahlen von mehr als 50 Booten entwickelt hat. Das Kleinste und das Größte der teilnehmenden Boote sind verwandt. Max Oertz hat den Riss für die „Prosit-IV“ geliefert. Zu diesem 150 qm-Seefahrtskreuzer gehört ein Beiboot nach den Regeln der Internationalen 12 Fuß-Dinghis. Beide Boote des ASV sind Favoriten im Kampf um die begehrten Preise, die „Prosit-IV“ um den Preis „Schnellstes Boot nach gesegelter Zeit“ und die „Nulpe“ um den Preis für das Boote mit der längsten gesegelten Zeit.

Die Havel-Klassik hat ihre Vorgeschichte. 1995 traf sich eine Handvoll Holzbootliebhaber auf dem Großen Müggelsee. 1996 fand am Langen See die erste „Flaggen-Gala“ statt. Absicht war, die Liebe zu klassischen Segelbooten in Berlin und Brandenburg zu wecken. 1997 gab es die „Flaggen-Gala“ dann beim ASV. Gute Teilnehmerzahlen, ideale Räumlichkeiten durch das frisch restaurierte, historisch wertvolle Klubhaus waren die Basis für die Entscheidung, hier ständig eine Klassiker-Regatta zu veranstalten. Die unermüdliche Arbeit von Claus Reichardt machte dies zu einem vollen Erfolg. Wir waren von Anfang an dabei, sind jedoch von der gaffelgetakelten H-Jolle auf einen ebenfalls gaffelgetakelten, inzwischen 90 Jahre alten 15 qm-Schärenkreuzer umgestiegen. Bei dieser Streckenregatta lässt uns unsere 4,40 m lange Wasserlinie meistens hinterher segeln. So kann ich nur aus einer sehr privaten Sicht das spannende Geschehen zu schildern versuchen.
2007 meldeten 81 Teilnehmer, der Termin wurde um zwei Wochen Richtung Sommer verlegt, aber die Wettervorhersage war wie immer: Heiter bis wolkig; drei bis vier Beaufort, gelegentlich Schauer mit Böen um 60 km/h.

Leinen los!

Für uns beginnt der Freitag mit dem Mastlegen im heimatlichen Hafen beim SC Aegir. „Prinsessan“ hat einen Steckmast aus massiver Fichte. Für mich ist es jedes Mal eine sportliche Herausforderung, auf dem Deck des 1,56 m breiten Boote stehend, den Mast zu ziehen. Damit „Prinsessan“ dessen Vierkant freigibt, muss im Prinzip eine exakte Turnübung ablaufen, die vorbedacht, körperlich geschickt und zügig ausgeführt werden will. Wenn dann kein vorbeifahrendes Boot mit Wellenschlag mein Stehvermögen beeinträchtigt, dann bin ich nach etwa einer Stunde mit gelegtem Mast reisefertig. Heute geht es dann, angetrieben von zwei PS, in Richtung des Köpenicker Schlosses, wo der Schlepper „Aurora“ wartet.
Das Wiedersehen mit „Aurora“ ist immer ein erster Höhepunkt. Meistens treffen sich fünf bis sieben Boote. Diesmal ist neben der Sonderklasse „Tigra“ und dem Seekreuzer „Scano“ auch noch eine schneeweiße Int. 5.5 m-Yacht dabei. Die Chiemsee-Jolle „Fratz“ vom Müggelsee kommt wegen des steifen Gegenwindes erst in letzter Minute.
Pünktlich setzt sich der Zug in Bewegung. Auf der Spree von Köpenick nach Charlottenburg geht es mehr als 50 km durch das ehemalige Industriegebiet Schöneweide, vorbei an der Wiege des Berliner Segelsports, dem Rummelsburger See, durch die Oberbaumbrücke. Nach dem Passieren der Mühlendamm-Schleuse führt der Weg durch die Stadtmitte mit der Museumsinsel und mitten durchs Regierungsviertel weiter westwärts nach Charlottenburg. Diese Fahrt dauert länger als vier Stunden und bietet das volle Programm einer Stadtrundfahrt. Meistens geht es an grünen Ufern entlang mit Hausbooten, alten Industriebauten, karibisch gestylten Strandbars und modernen Büro- und Hotelburgen.

Nach dem Durchqueren der Charlottenburger Schleuse ist es nicht mehr weit bis zum Eintreffen am extra verlängerten Steg des ASV. Es bleibt Zeit, Boote und Bekannte zu begrüßen, sich im Regatta-Büro zu melden und nach der langen Überführung ein willkommenes Abendrot zu genießen. Das Programm ist vertraut - genauso wie die Wettervorhersage mit dem sprichwörtlichen Havel-Klassik-Wetter.

Früh am Sonnabend regt es sich an allen Ecken und Enden. Besondere Aufmerksamkeit ziehen die beiden vom Bodensee angereisten Teilnehmer an, die Sonderklasse „Vidi II“ und die B-Jolle „Lucea“. Neu ist eine Gruppe von 5.5 mR-Yachten.

Nach der Begrüßung geht es ins Startgebiet. Dort benehmen sich die Yachten schon wie nervöse Rennpferde. Alle müssen noch durch das Registrierungstor am Startschiff „Aurora“. Vorhersagegemäß ziehen am Himmel graue Ballen auf und der Wind bläst in Böen um die 60km/h. Schon kentern zwei Jollen. Wir fragen uns deshalb: Kreuzfock oder Genua? Unsere Kreuzfock hat 3,3 qm, auch andere Boote ziehen kleinere Tücher auf, aber gerefft hat keiner. Dann der erste Startschuss für Jollen und Jollenkreuzer an einer wegen der vielen Teilnehmer erfreulich verlängerten Startlinie. Der Start wird eskortiert von der 16 Meter langen Miniaturfregatte “Royal Luise”, einem Nachbau der gleichnamigen kaiserlichen Lustjacht von 1850.

Anschließend starten die Kielboote. Wir hoffen auf freien Wind und gehen ganz unten an der Leeseite ins Rennen, um so den Luftwirbeln des übrigen luvseitigen Pulks größerer Boote zu entkommen. Wir sind aber nicht die einzigen mit dieser Taktik: freier Wind und Boot zum Laufen bringen! Der erste Schlag wird zum Anlieger entlang des Ostufers. Bei Westwind die günstige Seite. Ja wenn! Trotz des Wolkenbildes lässt der Wind nach. Sofort gilt: Fock runter, Genua hoch. Sylke übernimmt das Ruder, ich eile mit der Genua nach vorn. Alle Handgriffe auf dem schmalen Bug müssen möglichst schnell ausgeführt werden: Fockfall fieren, Kopf- und Halsschäkel wechseln, Genua heißen, Leeschot provisorisch belegen. Noch hängt die Fock an ihren Stagreitern. Weil die Genua fliegend gesetzt wird, geht das. Fock in den Sack und schnell zurück an die Pinne.

Alle anderen liegen nun vor uns. Das muss bald anders werden. Kaum steht die Genua, legt der Wind kräftig zu, bleibt aber unruhig. Wie schon oft pendelt der Wind zwischen Süd und West und null bis sieben Bft. Die hohen kieferbewachsenen Ufer der Rinnenseen erzeugen Turbulenzen. Vor uns liegt das Feld. Einige Yachten krängen über 45 Grad. Einige Sonnenschüsse sind zu beobachten. Die Böen lassen sich gut „lesen“. Wir können sie mit geschrickter Schot und unserem Gewicht auf der Luvkante parieren. Die Genua bleibt dicht und schaufelt uns windwärts. Nach einer halben Stunde haben wir unseren Rhythmus gefunden. Wir holen langsam auf! Dass bei solchem Wetter weniger Freizeitboote auf dem Wasser sind, erleichtert uns den Überblick und erspart unfreiwillige Ausweichmanöver. Auch die zumeist an engen Stellen aus verschiedenen Richtungen auftauchenden Ausflugsdampfer stören nicht. In Sichtweite der Sarcower Kirche kommen uns die ersten Boote entgegen. Die „Prosit-IV“, ein paar 5.5er und die Rennjollen. Unsere Freunde auf der J-Jolle „Fram“ rutschen mit prallem Spi vorüber. Endlich sehen wir das Leefass mit dem Kontrollboot am südlichen Ende des Jungfernsees. Nochmals versucht uns der Wind mit Drehungen über 90 Grad zu narren. Nach der Halse um die Tonne geht es Kurs Nord-Ost und raumschots Richtung Ziel. Vor dem Wind hoffen wir auf Vorteile, denn mit ausgebaumter Genua haben wir schon mehr als achteinhalb Knoten geschafft. Das Feld zieht sich auseinander. Ab und zu gibt es Sonnenstrahlen. Die drehenden Winde bringen einen Wechsel von harten Böen und dazu unpassenden Flautenlöchern. Wieder wird unser seglerisches Können aufs Schärfste gefordert und zehrt die Kräfte auf. Schließlich war es auch die Havelklassik, die uns zum Umstieg von der H-Jolle auf ein Kielboot bewegt hatte. Die Zieldurchfahrt ist eine Erlösung. Fazit: Während des Rennens einige gute Schläge gemacht, auch mal ein größeres Boot überholt, bessere Position als im Vorjahr erreicht. Boot ist heil, wenig Wasser in der flachen Bilge, wovon Sylke schon unterwegs das meiste wieder in die Havel geschaufelt hat.
Nach dem Anlegen beginnt wieder der erholsame Teil des Regatta-Wochenendes. Wer sich kennt, sitzt in kleinen Gruppen beisammen und klönt bei herzhafter Kost und dem verdienten Freibier. Im Pavillon auf der Wiese erklingt gepflegte Musik, die für mein Empfinden etwas zu wenig Beachtung findet. Die Siegerehrung dauert diesmal etwas länger als sonst. Für die Jubiläumsveranstaltung gibt es ein paar schöne Extra-Preise. Der wertvollste – ein historischer Silberpokal – geht an die österreichische Sonderklasse „Vidi II“.

Am Sonntag zeigt sich die Sonne. Bei leichten Winden er-klingt romantische Blasmusik von Bord der Begleitfahrzeuge. Auch die „Royal Luise“ ist wieder dabei als stilvoller Ver-mittler zur Geschichte der Berliner Wettsegelei. Am Ende der Geschwaderfahrt trifft sich ein Teil der Boote noch zu einem kurzen Stopp im Verein „Seglerhaus am Wannsee“ zu einer offiziellen Begrüßungsrunde, bevor die „Aurora“ uns wieder auf den Haken nimmt und durch den Teltow-Kanal und die Schleuse Kleinmachnow in Richtung Köpenick schleppt.
Fazit: Auf die nächste Havel-Klassik freuen wir uns schon, aber zuvor lockt noch das Wintertreffen in Hamburg.

Na dann, Ahoi und bis bald!
„Prinsessan“ und Besatzung
Text: Christoph Geyer



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