"Fratz" - Schratz-Jolle 180

Text und Fotos Rainer Enßlin



Kaufentscheidung

Bei einem Seegellehrgang am Chiemsee 1957 merkte mein Vater, dass er mit einem der Boote meistens schneller als alle anderen war. Auf den alten Bildern des Segellehrganges kann man H-Jollen, kleinere offene Kielyachten, einen Schratz und andere Jollen erkennen. Das schnellere Boot war der Schratz. Der geplante Bootskauf wurde dann auch eine leichte Entscheidung.
Gebaut am Chiemsee, wurde das Boot 1958 ausgeliefert und zu seinem ersten Heimathafen, dem Yachtclub Rursee in Woffelsbach (Eifel), gebracht. Getauft wurde es auf den Namen „Fratz“.
Das Segelzeichen ist gleichzeitig der Namensgeber, ein Schratz. Nach dem Brockhaus ist das eine ausschließlich in der Donau vorkommende Karpfenart, also keineswegs ein Piranja, wie dies noch in der Seemannschaft von 1955 steht. Worin das positive Attribut des Fisches besteht, das der Konstrukteur sicher im Sinn hatte, konnte ich noch nicht ergründen. Aber so ein dicker Karpfen ist wohl allemal anschaulicher als eine Zahl oder ein Buchstabe.

Bauart

Laut Auskunft meines Vaters wurde das Boot in zwei Versionen gebaut: einer Rennversion und einer etwas breiteren Familienversion. Der „Fratz“ ist eine Familienversion mit 1.80 m Breite. Es sollte ja schließlich eine Familie mit damals bereits vier Kindern bewältigen (ich kam später noch dazu).
Vor etwa fünf Jahren habe ich am Steinhuder Meer mal einen ziemlich vermoderten Schratz gesehen, der offensichtlich eine Rennversion darstellte. Die Flanken des Bootes waren wesentlich steiler auf den flachen Boden aufgeplankt und das Platzangebot in der Plicht tatsächlich deutlich geringer. Er sah aber sehr schnittig aus.
Damit sind wir auch schon bei der etwas skurrilen Bauart des Schratzes (oder Schratz-Bootes ?). Es handelt sich um eine Kombination aus Sharpie und Rundspanter. Auf ein völlig flaches, in Querrichtung mit Nut und Feder dreigeteiltes Bodenbrett (ca 2,4cm starkes Massivholz aus einem sehr leichten, rosafarbenen Tropenholz ähnlich Mahagoni) werden ca. 1,5 cm starke Tropenholzplanken karweel rund aufgebaut. Die Planken sind aus einer im Vergleich zum Bodenbrett deutlich festeren Mahagoniart, aber ebenfalls recht hell und frisch angeschliffen leicht rosafarben. Die Spanten bestehen aus dünnen Eichenholzleisten in 7-8 cm Abstand und halten die Beplankung mit Kupfernieten fest. Spätere Schratzversionen wurden offensichtlich mit formverleimten Spanten in wesentlich größerem Abstand gebaut, wie ich an einem weiteren, seit einigen Jahren in Berlin liegenden Schratz gesehen habe.
Das dreigeteilte Bodenbrett erhält seine Querstabilität über 8 massive, gerade Eichenholzwrangen von 4 x 5 cm, die gleichzeitig die Bodenlaufbretter halten. Der Schwertkasten ist an seinen Stirnseiten zwischen zwei der Wrangen in Nuten eingelassen und ansonsten nur mit dem Bodenbrett verschraubt. Er hat also keinerlei Querverstrebungenoberhalb von 5 cm Höhe, hält aber trotzdem erstaunlich viel aus. Bei stürmischer See wird er bei Sprüngen über die Wellen bisweilen samt Bodenpartie bis zu 15 cm weit hochgedrückt, was man durch den flachen Blickwinkel aus dem Trapez besonders gut, aber auch mit sehr gemischten Gefühlen beobachten kann. Es scheint eben alles schon etwas „weichgeritten“ zu sein.
Ähnlich ist das Kielschwein, ein schmales, aufrecht stehendes Eichenbrett von 1,5 cm Dicke, einfach zwischen den Wrangen vernutet und auf dem Bodenbrett verschraubt. Die vertikalen Kräfte nehmen hier aber die Wrangen auf, auf denen es zusätzlich von oben aufliegt. Der Mast steht dann unmittelbar auf dem Kielschwein auf. Vor dem Kielschwein und hinter dem Schwertkasten sind keine weiteren längslaufenden tragenden Teile (Kiel oder so) in der Bootsmitte angebracht. Das Bodenbrett übernimmt also die Funktion des Kieles. Das Schwert ist als Eisenplatte von ca. 4 mm Stärke ausgeführt, ähnlich wie bei einem Piraten oder O-Jolle.
Leider war der Bau des Bootes offensichtlich von einer großen Geldnot des Bootsbauers begleitet, so dass ausgerechnet im Unterwasserbereich sehr viel Splintholz verwendet wurde. Dementsprechend musste ich mittlerweile fast die gesamte Bodenpartie einschließlich Wrangen, Kielschwein und Schwertkasten austauschen. Zahlreiche Spanten sind gebrochen und die Schäftung der Beplankung geht mittlerweile auch im Überwasserbereich fast überall langsam auf. Im Unterwasserbereich mussten diese Stellen bereits nach 20 Jahren ausgetauscht werden. Als weitere Sünde kommt die wohl damals in Mode gekommene Bilgenfarbe hinzu, von der zum Schluss über 10 verschiedenfarbige Schichten vorhanden waren. Zum Glück, denn sie war das einzige, was dort unten nicht faulte. Der Blick unter die Farbe war entsprechend depremierend. Mittlerweile leistet hier Halböl sehr gute Dienste.



Die Anbringung der Wanten und Stagen brachte ein ausgesprochen schlechtes Am-Wind Verhalten des Bootes mit sich. So sitzt der Anschlagpunkt des Vorstages in etwa zwischen dem Masttop mit Achterstag und dem Wantenansatzpunkt, an dem auch die Fallscheibe der Fock sitzt. Die Wanten selbst verliefen genau querab vom Mast, so dass die einzige Spannung nach achtern vom Achterstag selbst ausging. Jeder Versuch, Spannung auf das Vorstag zu bringen, endete mit einer Mastbiegung, die unwillkürlich an einen Korkenzieher erinnerte, da nur mit Hilfe des Achterstags Zug nach achtern möglich war. Erst ein achterliches und mehr nach mittschiffs gerichtetes Versetzen der Wanten auf Deck konnte ein Gegengewicht zum Vorstag bringen. Eine neue breite Travellerschiene bringt ein zusätzliches achterliches Moment auf den Mast, indem nun auch das Segel, ohne exakt mittschiffs zu stehen, nach unten durchgesetzt werden kann. Mittlerweile läuft das Boot am Wind eine gute Höhe und Geschwindigkeit.

Reviere und Ereignisse

Regatten fuhr mein Vater am Rursee mangels direkter Konkurrenz - es gab nur zeitweilig einen zweiten Schratz - gegen die etwa gleichschnellen Schwertzugvögel. Anlässlich einer dieser Regatten erlebte der Mast einen seiner vier Brüche, als in einer Gewitterbö das gesamte Regattafeld vor dem Wind in den Teich ging. Ein Baumniederholer war dem Boot fremd und so musste der Baum gleich mit dran glauben, als er sich im Achterstag verfing und damit den Rest des stehenden Gutes, Teile des Vordecks mit Wellenbrecher und die Heckpüttings des Achterstages abräumte. Der bislang letzte Brcu erfolgte 1998 bei sieben Windstärken auf dem Müggelsee, der Mast ist aber immer noch zu 90% original.
Als kleines Bonmot sollte ich vielleicht erwähnen, dass ein Kapitän eines Ausflugsdampfers einmal eine Klage wegen Beleidigung im Dienst gegen meinen Vater anstrengte - dieser hatte ihm die Nationale abgesegelt. Nach einer entsprechenden schriftlichen Entschuldigung wurde der Frieden auf dem See aber wiederhergestellt.



Bisher eher mit Rennjolleen wie 470ern und Fireball geübt, musste ich mich mit der vergleichsweise schwerfälligen, gemütlichen Gangart und äußerst mageren Ausrüstung erst langsam anfreunden. Doch die vielseitige Verwendungsmöglichkeit (es gingen viel mehr Bier und Freunde drauf als auf eine Rennjolle) und seine herrliche Holzoptik überwogeen über den reinen Renngeist und später kamen dann viele Attribute einer modernen Jolle dazu, so dass mittlerweile bei ausreichend Wind für jede Form der sportlichen Betätigung inklusive Geschwindigkeitsgleitrausch gesorgt ist - Gleiten war vorher ohne Baumniederholer nicht möglich. Die steilen Flanken und dünnen Scheuerleisten sorgen zudem für jede Menge Wasserkontakt - vor allem bei guter Besetzung fungiert der ganz vorne Sitzende als lebendiger Wellenbrecher.
Und was die scheinbare Schwerfälligkeit angeht, so wurden wir alle eines Besseren belehrt: Pro Saison waren anfangs schon ein bis zwei Kenterungen drin, eine davon sehr dramatisch Mitte November, nachdem ich trotz sehr böigen Windes meiner damaligen Herzdame stolz verkündete, dass man mit solch einem schweren Boot neigentlich gar nicht umkippen kann, also gar keine Gefahr besteht. Das Vertrauensverhältnis zwischen mir und der armen Frau erlitt dadurch einen nicht mehr zu korrigierenden Einschnitt, der Umgang mit dem Boot wurde seitdem alllerdings erheblich leichter, weil von großem Respekt geprägt. Die Tegeler DLRG kannte bald Namen und Typ des Bootes auswendig und betrieb mit großer Freude das Wortspiel von Fratz und Schratz.
Meine jetzige Frau war es, die in Kenntnis des tatsächlichen Gewichtes des Bootes (sie half im Winter beim Umsetzen) bei raumen Abwettern einer Gewitterbö mit Entsetzen feststellte (Augen und Mund weit aufgerissen, der Atem abgestellt, Bewegungen erlahmt), wie ein so schweres Boot nur plötzlich so leicht werden könnte. Es war ihre erste richtige Brise auf „Fratz“.
In einem alten Komissar-Film wurde einmal eine Frau auf einem Schratz umgebracht, indem ein Taucher das Boot von unten zum Kentern brachte und sie daraufhin ersäufte. In den Recherchen des Herrn Erik Ode wurde ihm darauf von kundiger Seite versichert, dass es ein sehr instabiles Boot sei und leicht kentere. Der Fall klärte sich dann auf, da an dem Tag kein Wind war und Flaute selbst einen Schratz nicht umwirft. Ich habe es selbst einmal versucht, das Boot umzukippen. Mit gefiertem Schwert absolut unmöglich.
Mittlerweile sind Kenterungen tatsächlich eher selten, wenn auch oft nur mit sehr viel Glück abzuwenden. Der Müggelsee, auf dem das Boot seit 1992 liegt, ist aber auch ein offenes und daher leicht zu segelndes Revier, wenngelich ein sehr windreiches.
Nach und nach entstand eine tiefe Beziehung zum Boot, die aufgrund der vielen notwendigen Arbeiten oft auch von Verzweiflung geprägt war. Das Boot lehrte mich den handwerklichen Umgang mit Holz und ich brachte ihm allmählich ein modernes Handling bei. So verfügt das einstige „Brot und Butter“-Boot (immerhin hatte es eine Schotpunktverstellung) mittlerweile über Trapez, diverse Trimmeinrichtungen, Spinnaker, kugelgelagerte Rollen und Klemmen, Baumniederholer und eine für die Mitsegler eher verwirrende Vielfalt an Schoten.



Dafür bietet es eine herrliche Optik, gefällige und recht schnittige Überwasserlinien (sehr flaches Heck), eine ausreichende Bootsgeschwindigkeit (Yardstick 110), sehr einfaches Handling, die Möglichkeit auch bei mehr Wind noch mit ungeübten und auch leichtgewichtigen Freunden zu segeln, immer einen Anker und eine Flasche Sekt an Bord und zuletzt den irren Spaß, bei bis zu 7-8 Windstärken (sagte im Herbst noch die DLRG, als sie die Laserregatta absammelte und der frisch reparierte Mast dennoch hielt) noch segelbar zu sein und dabei erstaunlich lebendige Tiefflugeigenschaften bei maximaler Duschwirkung zu entwickeln.


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