KULTURELLES

“Nicht zu fassen”

Pinsel, Rohrblatt, Großschot
Marinemaler Uwe Lütgen zwischen New Orleans und Niederelbe


Kutteryacht "Mariquita"


Schoneryacht "Meteor III"

Die alte Garde der hamburgischen Jazz- Szene und viele junge Jazzbegeisterte füllen so langsam den Saal der „Rotbuche“, eines Jazzlokals im Hamburger Norden, man kennt sich weitgehend, kennt natürlich auch die Musiker, die in ihren roten Hemden die Instrumente klarmachen und irgendwann einfach loslegen – und wenn die Canal Street Jazz Band, eine der renommiertesten Hamburger Gruppen, richtig loslegt, kann niemand unbeteiligt dasitzen. Das geht nunmehr seit über 40 Jahren so, und schon sehr lange ist einer dabei, der immer mit einer ganzen Sammlung von Instrumenten anreist - Uwe Lütgen, der hier Klarinette, Tenor-, Bariton- und bis vor einiger Zeit auch Bass-Saxophon spielt und dazu mit seiner „Singenden Säge“ noch Anspielungen zulässt auf seine übrigen „Beschäftigungen“. Denn einer der vielseitigsten Hamburger Jazzmusiker zu sein, ist nur ein Aspekt, unter dem man den Seemann, Segler, Theatermaler, Restaurator, Marinemaler, Porzellanmaler, Hinterglasmaler und nicht zuletzt Menschen betrachten kann.

Nicht viele Menschen könnte man unter so unterschiedlichen Gesichtspunkten schätzen lernen, wie einen der größten Künstler seines Faches, der genau diese Bezeichnung sicher weit von sich weisen wollte - Uwe Lütgen ist wohl das, was man früher „bescheiden“ nannte, macht nicht so rasend gern von sich reden, aber er wirkt. Wirkt dabei keineswegs im Verborgenen, sondern ist präsent in vielerlei Form, durch seine Kunst.

Kunst schon deshalb, weil er mit seinem Schaffen eine so weit gestreute Bewunderung erntet, dass man seiner selbst gewählten Definition, eben kein Künstler zu sein, als Betrachter nicht zuzustimmen vermag. Als Marinemaler sieht sich Uwe Lütgen in der Tradition großer Vorbilder, die natürlich Kunstmaler waren und sich selbst doch nicht als Künstler bezeichneten. „Kunst“ im landläufigen Sinne ist Uwe Lütgen denn auch zu sehr mit dem Ruch von Gewinnstreben und Spekulation behaftet, was berechtigterweise in den Augen des hier zu Portraitierenden seinem Schaffen nicht angemessen ist.

Dabei muss man zunächst einmal versuchen, die Vielseitigkeit dieses Ausnahmekünstlers zu begreifen - seine Biographie bietet dann immer noch genug Stoff, sich zu wundern. Seine Wurzeln sind an der Elbe, wo Lütgen - Jahrgang 1944 - Ende der 50-er Jahre bereits erste berufliche Erfahrungen auf einem Fischkutter in der Nordsee sammeln kann - da wird eine Leidenschaft begründet und der Blick bereits geschärft für die seemännische Kompetenz, die eines Tages aus seinen Bildern sprechen soll. Doch dann erhält er - auf Betreiben der um seine Zukunft besorgten Mutter - eine fundierte Ausbildung zum Theatermaler in einem Unternehmen für Dekoration und Messebau, um danach für acht Jahre am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg zu arbeiten. Wer selbst ein- mal Theaterluft geschnuppert hat, der weiß, dass man am Theater mit seinen besonderen Anforderungen und vielen unterschiedlichen Gewerken sehr viel lernen kann (oder zumindest konnte), ein Maler zum Beispiel viele Tricks, die Tiefe in seine Bilder bringen, Perspektiven schaffen und Bewegung erzeugen, Dynamik, Lebendigkeit.

Als er sich nach acht Jahren großformatiger Theatermalerei selbständig macht, restauriert er wertvolle Möbel ebenso wie Schiffsmodelle und Gemälde. Gleichzeitig lässt er sich zusätzlich mehrere Jahre lang am Museum für Hamburgische Geschichte als Restaurator ausbilden.

Uwe Lütgen ist sicher jemand, der sich immer weiterentwickeln muss. Als er die Porzellanmalerei für sich entdeckt, lernt er dieses äußerst anspruchsvolle Kunsthandwerk auch wieder von Grund auf, weil er keine halben Sachen machen kann. Triebfeder seines Könnens muss ein angeborener Perfektionismus sein, alles, was er anfasst, wird bis in die letzte Konsequenz durchgestaltet. Schaut man sich einmal seine Kapitänstassen an, Objekte von unglaublicher Filigranität, die überhaupt nichts mit den gestalterischen und handwerklichen Grobheiten üblicher, an Bauernmalerei erinnernder Industrieprodukte zu tun haben, dann wird klar, warum auch dieser Zweig seines Schaffens zu durchaus ehren- und verdienstvollen Aufträgen führen musste - es sind eben seine Arbeiten, die für die Ehrung von Staatsoberhäuptern für gut befunden werden, sicher kein Zufall. Dem Betrachter fallen dabei die genussvoll und dezent ausgestalteten Verzierungen in den goldenen Einfassungen kaum auf, aber sie sind eben da und machen das Objekt Kapitänstasse mit der lebendigen Schiffsdarstellung zu einem viel- schichtigen Erlebnis, das sehr viel mehr erzählt als die Abbildung selbst für sich allein. Dass hinter der fertigen Tasse ein komplexer Prozess der künstlerischen und technischen Herstellung steht, der mit sehr viel Know-how und langwierigen Forschungsprozessen einhergeht, wird erst klar, wenn man sich ein wenig mit der Materie beschäftigt – dass man etwas ganz Besonderes in den Händen hält, spürt man dagegen sofort, das braucht keine Erklärung.

In seine Zeit der Zusammenarbeit mit dem Museum für Hamburgische Ge- schichte fällt auch die Initialzündung für seinen weiteren Werdegang weg vom Restaurator zum selbst schaffenden Maler und Schöpfer eines Stils, den man schon fast als Marke begreifen könnte. Anlässlich der Restaurierung wertvoller Marinebilder unter anderem klassischer Yachten nutzt er die einmalige Gelegenheit, die Maltechniken der älteren Meister zu studieren und sich einige von ihnen zu Vorbildern zu wählen.

Jeder Segler weiß, wie unglaublich schwer es ist, die Dynamik von Licht auf bewegtem Wasser zu erfassen, kaum jemand ist imstande, dieses Phänomen fotografisch umzusetzen, wie viel schwerer muss es da sein, die richtige Wirkung mit dem Pinsel auf der Leinwand zu erzeugen! Und hier liegt ein Geheimnis der Bilder von Uwe Lütgen, er lässt die Bewegung, die Rasanz, die Kraft der Naturgewalten erleben, seine großformatigen Darstellungen des Segelns sind ein Fest für das Auge, das sich in Details ebenso gut verlieren kann, wie es die Wucht des Ereignisses aufnehmen und genießen darf.

Sein Leben führt ihn immer wieder zurück zu seinen ersten seemännischen Wurzeln. Eines Tages wird er Eigner eines der legendären Finkenwerder Kutter, die noch nach den Kriegen Zeugnis der Jahrhunderte alten Schiffsformen des Elberaums ablegen. Er kauft mit der “Greta” aus Finkenwärder einen 1904 ebendort gebauten handlichen, flachgehenden Kutter mit Mittelschwert, nach zehnjährigem Aufliegen in erbärmlichem Zustand, umgebaut, heruntergekommen - und es gelingt ihm ein beispielhafter Wiederaufbau zu einem schönen, segelnden Museumsschiff - vielfach bewundert auf Elbe und Ostsee.

Die daraus resultierende intime Kenntnis des segelnden Schiffes, die intensive Beschäftigung mit dem Material und den Fragestellungen, die sich im Verlaufe einer geglückten Schiffrestaurierung ergeben, fließen unmittelbar ein in die Gestaltung und unglaubliche Präzision der Darstellung von Schiffen in einer kaum gesehen Detailfülle.

Der Betrachter seiner Bilder sieht, erlebt und genießt den Augenblick, er erlebt die Menschen, die sich an Deck bewegen, er meint die Stimmen der Kommandos hören zu können; die dargestellten Personen sind nicht etwa frei erfundene Figuren, es sind genau recherchierte Portraits von Menschen, die sich zu der Zeit an Bord befunden haben. Ebenso wenig sind die erzählten Regattageschichten, die aus den Bildern sprechen, frei erfundene Szenen, sie sind auf der Basis zeitgenössischer Photographien entstandene Kompositionen, die sehr naturalistisch den Segelsport der ersten Blütezeit aufleben lassen. Dabei darf der Betrachter sich sehr tief in die Details der Bilddarstellung vertiefen, darf das Spiel von Lichtreflexen auf naturlackierten Kanten von Schiffsdetails ebenso hinterfragen wie das Schattenspiel des Riggs auf dem Deck. Hier hat der Maler natürlich die Freiheit, sein eigenes Konzept von Sonnenstand und Krängungswinkel, Wettergeschehen und Kursen zum Wind im Rahmen des seemännisch möglichen und meteorologisch und physikalisch Sinnvollen selbst zu bestimmen, anders, als etwa ein Photograph es könnte. Aber es zeigt sich eben auch, dass er genau dieses Spiel wirklich beherrscht, man darf - man soll ruhig sehr genau hin- sehen und sich in die gezeigte Situation hinein fühlen, es stimmt einfach alles. Und so freut man sich an Beschlägen, Schotführungen und Trimmeinrichtungen, man meint die Kleidung der Protagonisten auf der eigenen Haut zu fühlen, das Salzwasser im Haar und die Geräusche, die Stimmen - diese Bilder erzählen erlebte Segelsportgeschichte, die so fesselnd ist, das man die Bilder stundenlang mit den Augen sezieren kann, ohne dass es langweilig wird. Einer seiner Tricks ist das „An Bord gehen“, das er dem Betrachter seiner Bilder häufig gestattet, indem er Perspektiven wählt, die so ungewöhnlich sind, dass man das Gefühl bekommt, unmittelbar Zeuge des Geschehens zu werden. Atemberaubend ist immer wieder die Darstellung des Wassers, das aufgewühlt und bewegt, zu Gischt zerstoben und zerfließend so „nass“ ist, dass man nie wieder ein vergleichsweise langweiliges Foto sehen möchte.

Aber das ist eben auch eines der großen Geheimrezepte – der unglaubliche Detailreichtum selbst in scheinbar so nebensächlichen Dingen, da zeigt sich auch eine gewisse Besessenheit des Malers, der nichts an seinem Bild dem Zufall überlässt. Dass diese Effekte nicht so nebenbei entstehen, sondern unglaublich mühsam erzeugt werden müssen, mag einschätzen, wer seine Bilder einmal quadratzentimeterweise untersucht hat. Hier hat jemand wirklich großes geleistet.
Noch anspruchsvoller wird es dann, wenn man sich die ganzen Maltechniken, die eigentliche Prozedur des Malens zeitlich noch einmal auf den Kopf gestellt vorzustellen versucht. Wird in der klassischen Malerei der Bildaufbau handwerklich in Schichten von unten nach oben - oder besser von hinten nach vorn - vorgenommen, so hat Uwe Lütgen eine Leidenschaft für die Umkehrung dieser Prozesse entwickelt: “Das ist ja nun das Verrückteste überhaupt”, schätzt er selbst. Die Rede ist von der Hinterglasmalerei, die mit ihren spezifischen Abläufen und Techniken den Maler vor völlig neue Probleme stellt, plötzlich muss er gerade mit den feinsten Details anfangen, mit all dem, was am Ende nur noch das berühmte „i“-Tüpfelchen sein wird. Auch wenn seine Maltechniken im konventionellen Bereich dank der von ihm verwendeten, archaisch anmutenden Mittel und Farben auch keine beliebigen Änderungen am schon gemalten Bild zulassen, so erfordert die Hinterglasmalerei doch noch einmal eine ganz andere Form von Vorstellungsvermögen, das ganze Bild mit wirklich allen Details muss vor Beginn der Arbeit im Kopf fertig sein. Korrekturen sind technisch schlicht unmöglich.
Und wenn man dann die Ergebnisse sieht – sieht, wie die Materialoberflächen zum Beispiel eines see- und wettergealterten Schiffsrumpfes entstehen, ohne dass die Oberfläche des Bildes selbst als plastisches Hilfsmittel genutzt werden kann, weil die Glasplatte ja nun einmal vollkommen glatt ist, dann fängt man mit etwas Distanz an, auch dieses Talent des Malers kopfschüttelnd zu bewundern.


Kapitänstasse (Porzellanmalerei mit gravierter Goldbordüre)

Internationale Auszeichnungen und begeisterte Kunden in aller Welt sind Resultate der langen persönlichen wie künstlerischen Entwicklungsgeschichte dieses Kunstschaffenden, die für sich sprechen, ob im Kaisersaal des Kieler Yachtclubs, dem Deutschen Museum oder in den Sammlungen der Bundes-präsidenten – an vielen herausragenden Orten finden sich seine Werke.

Sein Atelier befindet sich an einem ungewöhnlichen und herausragenden Ort, im Deck 8 des neu eröffneten Internationalen Maritimen Museums Hamburg, jenem Zentrum für Marinegeschichte, das durch seine unglaubliche Fülle an Exponaten und gespeichertem Wissen eine einmalige Bündelung von marinegeschichtlicher Kompetenz darstellt. Hier kann man Uwe Lütgen auch besuchen, und hier gibt es eine Werkschau. Manchmal freilich ist er schlicht nicht da. Dann kann es durchaus sein, dass er irgendwo zwischen dem Nordatlantik und dem Rio de la Plata neue Inspirationen aufnimmt.

Ende der neunziger Jahre entdeckt er auf der Suche nach einem schärenkreuzerähnlichen Schiff den 1945 in Dänemark gebauten Nordischen Kreuzer “Ree” in einem Schuppen in Hamburg, und so wird aus dem langjährigen Museumsschiffer und Besatzungsmitglied des Ring-Andersen-Schoners “Activ” doch noch ein Yachtsegler.

Inzwischen kündigt der Cornettist der Canal Street Jazz Band eine besondere Nummer an, die „Armbreaker“ heißen soll – warum weiß keiner wirklich. Uwe Lütgen rückt sein imponierendes Bariton-Saxophon zurecht und lässt in seinen Breaks tiefe, dröhnende Typhon-Signale erschallen, die einem mittleren Kümo alle Ehre machen würden. Das etwas herbe Stück Jazzgeschichte, das man wohl nur bei dieser Band hören kann, macht ihm sichtlich Spaß. Seine andere Formation, die „Louisiana Syncopators“, die regelmäßig im Hamburger Cotton Club für ein volles Haus sorgt, wird von ihm auch noch mit Sopran- und Altsaxophon verstärkt – wobei man von ihm lernen kann, dass es hier ein wenig ist, wie beim Hinterglasmalen: Es sieht so einfach aus, wenn er von der Klarinette zum Saxophon wechselt, aber dass sich die Griffe doch fundamental unterscheiden, man gerade deshalb im Kopf radikal umschalten muss, bemerkt der Zuhörer nicht. Ganz zum Schluss noch schmunzelnd die Anmerkung, wie er zum Saxophon und zum Jazz kam: Auf einer Fete hing mal ein Saxophon an der Wand – eigentlich als Dekoration – das genügte schon, die Klarinette kam erst danach. Gut, dass es Menschen gibt, die so vielseitig und lernfreudig sind.


Jazz mit der singenden Säge bzw. dem Sax

Jens Burmester


Weitere Infos:
www.uweluetgen.de



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