Dachbodenfund von 123 Yacht- und Boots-Zeichnungen von Otto Protzen


Sensationeller Dachbodenfund: Otto Protzen als Yachtkonstrukteur. Rolf Bähr /VSaW, Ex-Präsident des DSV) berichtet:


Den Namen Otto Protzen nimmt jeder VSaW-Besucher recht bald wahr, kommt er doch über die breite Haupttreppe im Club unweigerlich am „Otto Protzen-Zimmer“-Zimmer vorbei, über dessen schöner hölzernen Tür im Tympanon in schwungvollen Lettern sein Name eingeschnitzt prangt. Und alsbald geht die Fragerei los, wer war das, wer ist das, gibt es einen „Protz“- Hintergrund? Die meisten VSaW-er kennen ein bisschen von diesem Mann, der in drei Jahren 100. Todestag hat. Er sei ein ganz großer Segler zur Kaiserzeit, sei Maler, Illustrator, Schriftsteller oder Fachbuchautor gewesen.

Im Jahre 2017 zum 150jährigen Jubiläum des VSAW habe ich im Rahmen der Recherchen zu meiner Vereins-Chronik Otto Protzen etwas besser kennengelernt, als ich alle vorhandenen Club-Jahrbücher durchstöberte. Kurze Zeit später fanden ein neuer Archivar und ich in neun abgeschlossenen unterhalb einer darüber liegenden riesengroßen Schrankwand gelegenen alt aussehenden Schubladen im zweiten Stockwerk unseres Clubhauses: völlig unsortiert und in keiner Weise durch Seidenpapier geschützt, mehr als 80 originale Kreide und Kohlezeichnungen von Otto Protzen sowie rund 150 handsignierte Originalradierungen, teilweise in Mehrfachabzügen. Auf dem Boden des Vereinshauses entdeckten wir darüber hinaus – in einem Abstellraum etwas verstaubt -- noch etwa 20 bis zu 98 x 67 cm große originale Kreide- und Kohlezeichnungen. Die meisten Motive waren Landschaftsbilder oder Porträts von Menschen, die er auf seinen vielen Reisen gezeichnet hatte. Alle diese Arbeiten sind signiert und mit einer Legende des Künstlers versehen.

Gewiss können sich einige ältere Mitglieder des Vereins erinnern, dass es solche „Bilder“ gegeben habe, aber keiner kannte sie im Einzelnen und erst recht nicht diesen Umfang. Vor allem ist uns heutigen Mitgliedern nicht klar, warum dieser künstlerische Nachlass von Otto Protzen, der verheiratet war und immerhin drei Kinder hatte bis heute im Besitz des VSaW verblieben ist.

Diese Entdeckungen bewirkten bei mir, noch mehr über Otto Protzen, sein Leben und Schaffen in Erfahrung zu bringen. Mit Hilfe anderer engagierter Clubmitglieder wurde ein Internetauftritt für den Segler und Künstler (Otto-Protzen.de) etabliert und wenigstens die digitalisierten originalen Kohle und Kreidezeichnungen darein gestellt.

Mein Ziel war und ist, mit einer solchen öffentlichen Vorstellung noch mehr über Otto Protzens Lebenswerk herauszubekommen. Und so geschah es auch. Es kamen von allen Seiten unbekannte Landschaftszeichnungen, Angaben zu seinem und seiner Kinder Lebensläufe, nachweisliche Richtigstellungen zu Fehlern im Internet und auch gravierte Segelpreise von Otto Protzen sowohl auf den Verein als auch auf mich zu.

Allergrößtes Erstaunen rief jedoch hervor, als vor etwa fünf Monaten nach einem kurzen Telefonat eine segelaffine Dame mit einer Holzkiste als Dachbodenfund in den Dimensionen von 1, 20 m Länge und von jeweils 0,50 m Höhe sowie Breite im Club erschien und meinte, da sei etwas von Otto Protzen drin. Und dieser Kisteninhalt stellte sich nun als eine sensationelle Überraschung heraus. Es handelte sich um eine festgewickelte schwere Rolle von 35 cm Durchmesser. Wir legten sie auf einen Tisch und es wurde versucht, die einzelnen Papier-, Pappe- und Pergamentlagen aufzurollen; ein schwieriges Unterfangen. Es wurde sofort gestoppt, weil z.B. die Pergamente in diesem gerollten Zustand sofort Risse zeigten. Aber es war klar, dass der gesamte Inhalt von Otto Protzen stammen musste. Ein mitinformiertes Clubmitglied in der Runde erklärte sich spontan bereit, den Rolleninhalt zu glätten, zu scannen und archivarisch nach Größen in Mappen aufzubewahren. Es würde jedoch viel Zeit in Anspruch nehmen. Und so dauerte es auch.

Nun stellt sich folgendes heraus: nach Glättung, sowie teilweisem Kleben der Unterlagen, ihrer Digitalisierung und Auflistung handelt es sich um 123 Konstruktionszeichnungen und Risse von Otto Protzen auf Papier, Pappe oder Pergament aber auch um etliche Blaupausen von Max Oertz, Einige Interessierte wussten bisher schon, dass Otto Protzen am Bau und der Konstruktion seiner Sonderklassen mitgewirkt hatte und er selbst das Hausboot „Thea“ im Jahre 1904 konstruiert und mit Max Oertz auch Segelpläne entwickelt hatte. Nun aber zeigen etliche Zeichnungen sogar auf, wie eng auch die Kooperation bei der Rumpfentwicklung vieler Yachten mit Max Oertz stattfand.

So beweist dieser sensationelle Fund mit den vielfältigen Konstruktionsunterlagen für neue Boote und Yachten – darunter allein 34 Risse für seine Sonderklassen und Segelpläne von 1900 bis 1911 -- sowie für Bootsbeschläge und sogar für eine Lafette zum Bootstransport, dass Otto Protzen wohl mit Recht als ein früher deutscher Boots- und Yachtkonstrukteure bezeichnet werden kann. Und es bleibt hier für mich wieder die Frage, wie es kommt, dass ein solcher Schatz an geistigem Eigentum auf einem Dachboden landen musste, bis er jetzt entdeckt wurde

In meiner Begeisterung für den segelsportlichen Allrounder ist Otto Protzen nach dieser Entdeckung nicht mehr nur als umjubelter Star von 11 Kieler-Wochen der Kaiserzeit mit Willy Kuhweide vergleichbar, als Landschaftsmaler, Radierer und Graphiker des Impressionismus nicht nur Walter Leistikow ähnlich, mit der bilderreichen Sprache seiner zahlreichen Bücher und Schriften als Pionier des frühen Wassertourismus nicht nur wie ein Theodor Fontane der deutschen Binnengewässer bewertbar, sondern nun auch als Yacht Konstrukteur oder -designer in eine Reihe mit Max Oertz zu stellen.

Rolf Bähr, Februar 2022