Der Untergang der Adelheid


Aus dem neuen Buch von Klassiker-Fan Marc Bielefeld 
(„Wer Meer hat, braucht weniger“)


Viele Segler kennen das Revier um die Mellumplate in der Außenjade: Genau hier sank vor 60 Jahren das Frachtschiff „Adelheid” – eines der wohl tragischsten Unglücke der deutschen Seefahrtsgeschichte. 14 Stunden trieb Klara Meiners, die einzige Überlebende, mit ihrem toten Baby und dem ertrunkenen Ehemann in der kalten Nordsee.

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Nun ist erstmals ein Buch über die unglaubliche Geschichte und die dramatische Rettung erschienen. „Der Untergang der Adelheid“ ist ein Tatsachenbericht, der unter die Haut geht.

Das Hamburger Abendblatt schreibt: „Ein Kunstwerk maritimer Erinnerungskultur.“

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Auszug aus „Der Untergang der Adelheid“

von Marc Bielefeld

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Es ist jetzt dunkel geworden auf dem Meer. Der Wind weht über Deck, und die „Adelheid“ ist nur noch ein einsamer Schatten in der See, der sich nicht mehr bewegt. Die Flut war in den letzten Stunden stetig gestiegen und sie wird noch weiter steigen. Alle sind längst oben. Alle kauern im Steuerhaus. Da draußen ist jetzt nichts als schwarze Nacht, und das einzige, das sie hören, sind die Wellen und der Wind.

Unten ist das Schiff schon fast vollgelaufen, der Frachtraum, der Salon. Ewald Meiners war ein letztes Mal unten gewesen, hatte gesehen, wie das gerahmte Bild seines Vaters von der Wand gehoben worden war und nun auf dem dunklen Wasser schwamm. Er griff nach letzten Sachen, watete durch das Innere seiner „Adelheid“, das Meer stand ihm bis zum Bauch. Es war feucht da unten wie in einer Fischdose. Alles troff. Als er einmal nach oben rief, hörte er seine Stimme. Sie war dumpf von der Nässe, ermattet von der zunehmenden Enge und von dem schwindenden Raum, der keinem erklingenden Wort mehr Resonanz gewährte. Alles schnürte sich zu. Alles wurde kleiner und geringer. Töpfe schwammen auf ihn zu, und das kletternde Wasser umklammerte ihn wie Schmerz.

Dann war Ewald Meiners den Niedergang emporgestiegen.

Nun kauern sie alle fünf oben im Steuerhaus, um sich herum die Sachen, die Ewald und Hans nach oben gewuchtet haben. Die Matratzen, die Kanister, die Bettwäsche, die Kissen, die kleine Petroleumlampe.

Im Niedergang steht das Wasser bald bis zu den oberen Stufen, als wolle es gar nicht aufhören zu steigen. Wie tief ist das Meer an dieser Stelle? Und wie tief wird es nachher sein, bei Hochwasser, in der Nacht? Ewald Meiners richtet seine Taschenlampe auf die Seekarte. Er kann nicht exakt wissen, wo sie sind. Neben den Riffen, auf den Riffen? Die Sände verlagern sich ständig. „Die Morphologie des Meeres.“ Er erinnert diesen Begriff auf einmal, erinnert den Mann mit seiner Schiebermütze, der eines Tages beim Löschen der Fracht neben dem Kran gestanden hatte.

Wie Gespenster tauchen die Worte und Gesichter aus der Vergangenheit auf.

Im Steuerhaus liegen die Seekarten und das aufgeschlagene Leuchtfeuerverzeichnis, es brennt dort eine Petroleumlampe und hängt das Fernglas neben dem Schapp; doch hinter der Tür weht schon der Wind. Die „Adelheid“ hat nun gänzlich aufgehört, sich zu bewegen. Kein Rucken mehr, kein Schaben. Tonnenschwer ruht das vollgelaufene Schiff auf dem Grund der See, während das Wasser ihm langsam bis zum Hals steigt. Hier und da knackt es im Gebälk, schickt der Rumpf ein Klagen in die Nacht.

Die Mutter weint, der Kleine schreit. Es wird jetzt langsam klamm und kalt hier oben auf den letzten Metern.

„Sie müssen uns doch gesehen haben“, sagt nun auch Ewald Meiners. Dann kramt er eine weitere Rakete aus dem wasserdichten Sack. Zwei haben sie noch, die fünf Menschlein in diesem Wattenmeer.

Meiners geht an Deck, feuert ein weiteres Mal rot. Er blickt dem hellen Schein noch nach, als der Schweif durch die Nacht fliegt. Dann erlischt das rote Glimmen, und dann ist wieder alles dunkel. Kein Boot, kein Zeichen. Nur schwarzes Wasser. Drüben in Schillig flackern ein paar dünne Lichter in der Ferne. Da ist das Land, das Ufer, da schlafen sie in festen Betten. Das alles scheint in diesen Momenten zum Greifen nah, doch zwischen dem Land und der „Adelheid“ liegen einige Seemeilen und strömt das kalte Wasser mit drei, vier Knoten. Ewald Meiners kann es hören. Das Meer, das an der Bordwand entlang fließt und dabei schlotzt und gurgelt.

Meiners weiß, dass die Flut noch weiter auflaufen wird. Noch knapp zwei Stunden. An Backbord vor dem Bug klettert das Wasser schon über die Schanz und macht sich an Deck breit. Es will das ganze Schiff schlucken. Die „Adelheid“ versinkt nicht im Meer, das Meer bemächtigt sich des Schiffes von unten.

Der Hans hat das Rettungsboot klargemacht, die Frauen haben die Rettungswesten angelegt, die an Bord sind. Die letzte Rakete ist verfeuert, und nun breiten Ewald Meiners und der Matrose Hans Dierkes die Matratzen auf dem Achterschiff aus, tränken sie mit Diesel und Petroleum und zünden den ganzen Haufen an. Die Flammen kommen im Wind und in all der Feuchtigkeit nur schwer in Gang; erst nach einigen Versuchen lodert auf dem ertrinkenden Schiff ein Feuer und schickt seinen Schein in die nasse Nacht.

Die Frauen halten inne, sitzen im Steuerhaus. Klara Meiners hält den kleinen Bernhard fest umklammert, ihre Mutter ist in ein tiefes Schweigen gefallen. Wie lange harren sie jetzt schon aus? Die Zeit hat ihre Ordnung verloren, die Uhr im Steuerhaus steht inzwischen auf halb elf in der Nacht. Aber da ist niemand, der das Feuer sieht. Niemand, der kommt. Da ist nur das Meer, das weiter nach ihnen greift.

Da sind nur das Meer und der Wind.

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Das ganze Buch gibt es bei www.lets-sea.com
Halbleinen-Einband mit Originalfotos, Seekarten, alten Tidentabellen.
Von jedem verkauften Exemplar gehen 2 Euro als Spende an die Seenotretter, die die einzige Überlebende damals retteten.