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Schöner segeln ohne den Zwang des Zwecks

Ungeachtet der Renaissance klassischer Yachten ist der 30er Schärenkreuzer seit Jahrzehnten der Bodensee-Evergreen schlechthin.

VON ERDMANN BRASCHOS

Wie uns die Reklame für seltene Automobile, für ausgefallene Chronometer oder exquisite Polstermöbel nahelegt, soll man sich ab und zu im Leben für etwas Gediegenes entscheiden. Es zeichnet sich durch gutes Handwerk, limitierte Stückzahl, gestalterische Raffinesse und langlebigen Reiz aus. Spielt es dann noch eine Rolle, ob es vielseitigere, komfortablere, leistungsfähigere und im Betrieb günstigere Autos gibt oder Uhren, die man nicht regelmäßig aufziehen und für die Inspektion des preziösen Innenlebens gelegentlich zum Uhrmacher geben muß? Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte und das Hü und Hott der Moden kümmern den stilbewußten Zeitgenossen kaum. Er weiß, was ihm gefällt und genügt.

Daß der klassische Schärenkreuzer als Bodensee-Evergreen eher elegantes Sportgerät als wohlfeiles Wohnschiff ist, ergibt sich aus seinen Proportionen - und seiner Herkunft. Anfang des 20. Jahrhunderts sehen schwedische Segler in der 1906 in London vereinbarten International Rule die Entwicklung eines schweren, folglich im Bau und Betrieb kostspieligen Bootstyps. Bereits 1902 schlägt Karl Ljungberg, ein Stockholmer Professor für Festigkeitslehre, dem führenden schwedischen Yachtklub KSSS ein Boot für vereinsinterne Regatten vor, wo hauptsächlich der Antrieb in Gestalt der vermessenen Segelfläche limitiert ist. Ansonsten bleiben Freiheiten zur Entwicklung der schnellstmöglichen Yacht. Aus dieser Idee wird im Februar 1908 die erste Schärenkreuzerregel für sieben Bootstypen von 30 bis 150 Quadratmeter Segelfläche.

Wie manches überzeugend einfache Konzept läßt die Regel das ausgeprägte menschliche Interesse an der Lücke unberücksichtigt. Der gestalterische Spielraum wird im geschützten Gewässer des ostschwedischen Schärengartens mit immer gestreckter und flacher gehaltenen Booten genutzt. Ein 30er Schärenkreuzer ist damals bei 13,40 Meter Länge ganze 1,75 Meter breit. Die Jagd nach hoher Rumpfgeschwindigkeit bei geringem Gewicht wird mit weiteren Meßpunkten und präzisierten Bestimmungen an die Zügel genommen. 1925 ist die ursprünglich simple Schärenkreuzerregel eine umfassende Bauvorschrift. Sie friert die Entwicklung der Konstruktionsklasse ein. Diesem Umstand verdankt die Seglerwelt die haltbare und außerordentlich elegante Rennyacht. So erfreut der Schärenkreuzer als aparter Anachronismus und ästhetischer Botschafter vergangener Zeiten.

Die zweite, weidlich genutzte Lücke ist der Unterschied zwischen nomineller und tatsächlicher Besegelung. Erstere setzt sich aus Großsegeldreieck plus 85 Prozent Vorsegeldreieck zusammen und steht als 30 im Meßbrief. Der Erfindung eines erstmals bei einer Regatta vor der ligurischen Hafenstadt eingesetzten, das Großsegel deutlich überlappenden Vorsegels, der "Genua", verdankt die Klasse eine tatsächliche Am-Wind-Besegelung von 50 Quadratmetern. Das macht den leichten, langen Schärenkreuzer zum idealen Bodenseerenner, wo der Wind an vielen Tagen mit schwäbischer Sparsamkeit weht.

Seine stattliche Flotte hierzulande und die internationale Verbreitung verdankt der Dreißiger übrigens der Isolation deutscher Segler nach dem Ersten Weltkrieg. Die Beziehung des Stettiner Seglers Feiix Graf von Luckner (1881-1966) - er wird durch seine Vorträge und die gern demonstrierte Fähigkeit, Telefonbücher zu zerreißen, bekannt - zu einer schwedischen Komtesse vermittelt Kontakte und Segelgelegenheiten. Die von internationalen Regatten zunächst ausgeschlossenen Deutschen entdecken im Schärenkreuzer eine Bootsklasse zum Wettsegeln.

Bald vergnügen sich auf der Aister, Berliner Gewässern und der Kieler Förde in den seglerisch goldenen Zwanzigern Prinz Eitel Friedrich, Hanns Stinnes, Berliner Ärzte und Kaufleute oder der Hamburger Reeder Erich F. Laeisz mit den schnittig schlanken Planken. 1926 gewinnt Prinz Heinrich von Preußen mit "Sphinx" im schwedischen Heimatrevier der Schärenkreuzer für den Norddeutschen Regatta Verein den Ostseepokal. Der geschäftstüchtige Segler, Konstrukteur und Werftinhaber Henry Rasmussen exportiert die Bootsklasse nach Amerika, wo Francis Herreshoff sich mit eigenen Entwürfen um die flinken "German squaremetre boats" bemüht. 1930 debütiert Sis Hovey, die Tochter des vermögenden J-Class-Eigners Chandler Hovey ("Yankee" und "Rainbow"), mit einer Herreshoff-Schäre und dem ersten Genua-Vorsegel der Klasse in Kiel. 1922 bis 1932 entstehen bei A&R 52 Schärenkreuzer verschiedener Größen, darunter die "Hathi".

Die mittlerweile 76 Jahre alte Antiquität wird heute vom Stuttgarter Architekten Jo Frowein gesegelt. Im Vergleich mit Artur Schwörers "Acrissa", einem Kunststoffrumpf mit Teakdeck und Mahagoniaufbau von 1984, und "Mariposa", einem formverleimten Neubau, schlägt sich "Hathi" respektabel. Im Unterschied zu anderen historisch bedeutenden Bootsklassen, etwa dem Achter, segeln uralte und aktuelle Boote zusammen. Zur Weltmeisterschaft kamen dieses Jahr 31 Schärenkreuzer am Bodensee zusammen.



Faires Regattasegeln mit Booten, zwischen deren Stapellauf sechs Jahrzehnte liegen, ist das Resultat einer überlegten und beharrlich betriebenen Regie der "Internationalen Vereinigung der 30-qm-Schärenkreuzer-Klasse". Dieser Verein wahrt den Bestand der Flotte und steht für die Kontinuität stilvoll ausgeübten Segelsports. Das leidige ScheckbuchSegeln, wie es mancher anderen Klasse mit kostspieligen, innovativen und entsprechend dominierenden Neubauten übel bekommt, wird vermieden.

An Gelegenheiten zum Regattasegeln und Feiern mangelt es nicht: von der Bodensee-Langstrecke über die Münchner Woche, den Prinz-Ludwig-von-Bayern-Preis, die hochsommerliche Spaßwettfahrt Far Niente, den Almadi Cup auf dem ungarischen Plattensee, der Veteranenregatta vor Porto Cervo, dem Peri Cup, der Langenargener Freundschaftsregatta bis hin zu den Voiles de Saint-Tropez, wo man sich mit dem filigranen Renner zwischen den großen Klassikern nicht schämen muß.

Faires Regattasegeln mit Booten, zwischen deren Stapellauf 60 Jahre liegen. Mit Schärenkreuzern möglich.



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