PFLEGE & RESTAURIERUNG

"P 533 Stichling" - ein ganz normales Projekt

Was macht unser Projekt aus?

Wir haben einen 15er Jollenkreuzer, ein sehr guter Brandt Riss, aber keine bekannte Werft, sondern ein Eigenbau aus der DDR. Richtig alt ist es mit Baujahr 1968 auch nicht, bestenfalls ein Youngtimer. Das Boot war auch kein Wrack, sondern nur etwas vernachlässigt.

Ich mag an genau diesem Boot (neben der großartigen Form) die kleinen Baufehler, die den ambitionierten Laien verraten, das zusammengesuchte Material, die selbstgebaute Unterdeck-Rollfock. Das ist eine Qualität, mit der ich es aufnehmen kann, vor der ich nicht in Ehrfurcht erstarre. Das ist ein Boot an dem ich weiter experimentieren kann, an dem ich verwenden kann, was ich an geeignetem Material finde. Keiner meiner vier Vorbesitzer war reich, sie alle haben mit bescheidenen Mitteln erhalten und ihre Spuren hinterlassen.

Ein Boot auf Augenhöhe, ein wirklich normales Projekt.

Oktober 2006. Da steht dieses Bild von einem 15er Jollenkreuzer im Internet, wie ich ihn mir immer vorgestellt habe: senkrechter, hoher Steven, starker Deckssprung, flacher Aufbau... Nach einem Jahr Suche der Nachfolger unserer O-Jolle, die zum Urlaub zu zweit etwas eng wird. Probesegeln und zwei Besichtigungen vertiefen sowohl die Begeisterung für dieses Boot als auch die Zweifel an Zustand und Preis.

April 2007. Nach 6 Monaten sturen Abwartens kaufen wir P533 zu einem vernünftigen Preis. Das Boot ist unrestauriert, aber im Prinzip segelklar und in zwei Wochen ist Rheinwoche - unser Stromklassiker. Unter einer provisorischen Lappenburg mache ich die allernötigsten Holzarbeiten und Reparaturen, lackiere einmal über, rolle Antifouling und reinige und öle die Bilge. Noch am Vorabend der Wettfahrt wird geschraubt, bis mein Vorschoter mich gegen Mitternacht zum Grill zerrt. Wir übernachten in Müllsäcken unter dem steten Tropfen durch das undichte Deck. Dann darf unser 39 Jahre alter DDR-Eigenbau Brandt-Klassiker zeigen, was er kann.

Oktober 2007. Ein seltsamer Platz für ein Boot. Mitten in der Stadt und direkt gegenüber vom Theater, aber mit dem Rad nur 5 Min von zuhause und 10 min vom nächsten Baumarkt, das ist ohne Auto ein Muss. Der Jolli passt mit seinen 2,18 Breite knapp durch das ebenso breite Tor. Die Scheuerleiste soll eh neu gemacht werden. Endlich wieder eine halbwegs anständige Werkstatt.

Dezember 2007. Seit fast 3 Monaten bin ich in fast jedes Wochenende und manche Abende beim Boot gewesen und habe einiges geschafft: Maststuhl umgebaut, 6 gebrochene Spanten geschäftet, einige Risse im Rumpf ausgeleistet, die Fußreling im Bereich der Genuaschienen neu gebaut. Die "Scheuerleiste" stellt sich als Viertelstab heraus, der einfach unter das überstehende Deck geschraubt wurde, das unter der Fußleiste reichlich trockenfaules Splintholz zeigt. Schäftungen im Deck ausgefräst und überblattet, das Vollholzdeck wieder auf die Decksbalken geschraubt wo es lose war, alle Dehnungsfugen ausgefräst und erneuert. Insgesamt alles durchaus noch kosmetisch.
Der Schaden an Stb. war größer als vermutet. Auf ungefähr 3 m Länge war das Deck gar nicht mehr mit dem Rumpf verbunden Weil alle Schrauben abgerissen waren lag es nur lose auf wie ein Deckel. Ich schraube alles wieder fest und ziehe eine breite Hohlkehle aus Epoxy unter die Scheuerleiste. P 533 bekommt jetzt einen schmalen blauen Streifen, um das zu verdecken und nächstes Jahr segeln wir dann ohne schwimmende Polster.

Januar 2008. Draußen -5°, drinnen +9°. Ein Röckchen aus Plastikfolie von der Wasserlinie abwärts, darunter der billigste Luftbefeuchter im Dauerbetrieb. So kommen 8 Lagen Epifanes auf Rumpf und Deck. Schließlich ein dunkelblauer Streifen, elfenbeinfarbener Wasserpass und Dach ebenso.

Februar 2008. Nach dem Lackieren stehen jetzt weitere "Details" auf dem Plan: Neues Vorluk, Schiebeluk und Steckbretter bauen, Ruder überholen und das baufällige Cockpit provisorisch zusammenspaxen. Schließlich ein neues Profilschwert aus Holz/GFK. Ich kaufe nur Lack, Epoxy und Verbrauchsmaterial. Das Holz sind über viele Jahre gesammelte Reste von Mahagoni, Teak, Eisenholz, Weisseiche, Esche, amerikanischer Kirsche, Oregonpine, Rotzeder. Weder mein Konto noch die Ressourcen tropischer Wälder sollen ungebührlich strapaziert werden. Als Resultat wird P533 noch etwas bunter als sie schon ist: allein im Rumpf habe ich 3 verschiedene Sorten Mahagoni gefunden, sauber versteckt im Achterschiff und unter der Wasserlinie.

März 2008. Ich war zu schlau. P 533 hängt im Kran und das neue Schwert passt nicht. Ich habe im Gegensatz zum alten Schwert einen sauberen Viertelkreis um den Bolzen gezogen und den unsinnig großen Radius auf der hinteren (oberen) Ecke verkleinert auf den hydrodynamisch optimalen, der zufällig genau einer Epifanes Dose entspricht. Das neue Schwert lässt sich halb hochziehen und bleibt dann im trapezförmigen (!) Kasten stecken. Nachdem ich 15 mm von der Achterkante abgesägt und neu profiliert habe, stößt es an die Kajütdecke, bevor es ganz oben ist. Flache Boote ... reumütig säge ich, bis alles um Haaresbreite passt.

Mai 2008. Eine Leichtwind-Vorwind Rheinwoche und uns fehlen sowohl Genuaschienen als auch Spibeschläge. Dabeisein ist alles.

Juli 2008. P 533 heißt mittlerweile "Stichling" (nach einem unserer Lieblingskinderbücher). Im strömenden Regen am Vorabend unseres Müritzurlaubs montiere ich endlich die Genuaschienen. Beim Anziehen der letzten Schraube über dem Kopfende meiner Koje ein leises knacken. Ein alter verleimter Riss öffnet sich. Es beginnt sachte zu tropfen.

Dezember 2008. "Stichling" wartet unter der Winterplane. Im Heizungskeller liegt neuerdings ein viertel Kubikmeter Mahagoni (massive Türrahmen aus einer abgerissenen Galerie 6 x 24 cm stark). Das werden ein neues Cockpit und neue Kojenbretter und ein Jollenbalken. Wenn es wärmer ist.

Sven Bastiaen Schulz
Diplom-Designer


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