YACHTEN & MEHR

Nur was Halbes – und doch was Ganzes!

Halbmodelle im Wandel der Zeit

Von Ulrich Körner
(in "Klassiker!" Nr. 2/2010)

Am Ende des Regattatages winkt dem Sieger zumindest einiger ausgesuchter Klassen nicht nur Silber, sondern auch ein Wanderpreis in Gestalt eines schönen Halbmodells, das - sorgsam auf poliertem Mahagoni montiert - jetzt ein Jahr lang die heimische Stube schmücken darf. Sehr schön, nur: warum lediglich ein halbes Modell? Werfen wir also einen Blick in die Geschichte:

Die Anfertigung von Modellen als Entwurfsstudie und Bauvorlage, als erster Schritt für das spätere „richtige“ Fahrzeug war seit Jahrhunderten selbstverständlicher Bestandteil des Schiffsbaus. Aus dem 16. und 17. Jahrhundert sind genaue Modelle als Grundlage späterer Bauentscheidungen nachgewiesen! Der Schiffbauer oder der künftige Eigner vertraute seinem Gefühl und der plastischen Anschauung und weniger einer Zeichnung. Sofern denn überhaupt eine Zeichnung und genaue Berechnung vorlag, denn nicht immer waren die Parteien in dieser Kunst zu Hause - oft genug beide Seiten. Der Werftchef war gleichzeitig ihr „Erster Konstrukteur“. Der Entwurf des künftigen Schiffes galt als integraler Bestandteil des Bauprozesses. Diese Schiffbauer griffen zum Modell als unverzichtbarem technischen Hilfsmittel, das ersten Verhandlungen folgend nach Erfahrung und jeweiligem Können gestaltet wurde.

Anhand der Modellformen ergaben sich zum ersten Mal dreidimensionale Vorstellungen von den Linien des zukünftigen Schiffes. In diesem Stadium waren Korrekturen möglich und wohl auch an der Tagesordnung. Waren erst beide Parteien zufrieden, konnte nach dem Modell gebaut werden. Dabei genügte es, eine Hälfte des Modells zu fertigen, vorzugsweise die Steuerbord-Seite, deren Maße ja später symmetrisch auf die andere Hälfte übertragen werden konnten. Überliefert sind auch Bauten von Vollmodellen, die zum Vertragsschluss längs durchgesägt wurden. Die eine Hälfte steckte der Auftraggeber ein, um sie später mit dem fertigen Schiff zu vergleichen und danach, auf einem ausgesuchten Brett befestigt, seinem Kontor zur Zierde gereichen zu lassen.
Die andere Hälfte wanderte als Gebrauchsgegenstand in die Werkstatt, denn danach wurde das Original gebaut. Mit Schablonen wurde die Spantform abgenommen; gelegentlich auch mit Hilfe von Kupferstreifen – „abgekupfert“ also. Vielfach aber wurde das Modell auf der Spantebene in Scheiben geschnitten. Die Bestimmung der Spantquerschnitte geschah also ganz einfach mit der Säge. Nach dieser Vorlage entstanden auf dem Schnürboten die endgültigen Aufrisse.

Im 19. Jahrhundert hatte sich die Form der großen Frachtsegler so weit gefestigt, dass eine weitgehend ähnliche Ausführung vollends genügte. Die Spantrisse standen nun nicht mehr im Vordergrund der Überlegungen. Aus dieser Zeit sind Blockmodelle erhalten, die aus losen, horizontal geschichteten Brettern zusammengesetzt sind. Nachdem das Modell sauber ausgearbeitet war, konnte es wieder auseinander genommen werden und ergab so die Vorlage für die Wasserlinien.

Die Modelle verkörperten das Wissen und Können ihrer Meister. Möglicherweise auch deswegen führten sie ein behütetes Schattenleben in den Werkstätten. Längst sind die Schiffe verschwunden. Hat das Modell überlebt, erfüllt es noch immer seine Funktion und gibt genaue Auskunft über das Original. Mit dem Niedergang der kleinen Werften sind viele ihrer Modelle verheizt worden, um dieses Wissen vor dem Zugriff der Konkurrenz zu schützen. Finden wir heute historische Halbmodelle in den Schifffahrtsabteilungen der Museen, sind es daher meist die aus den Reedereikontoren.

Auch im aufkommenden Stahlschiffbau war das Halbmodell unverzichtbar. Allerdings wurde es jetzt nach der Konstruktionszeichnung gebaut und diente vor allem dazu, die einzelnen Stahlplatten zuzuordnen. Erst der Computer machte die Zeichensäle überflüssig. Mit den Reißbrettern verschwanden auch die Halbmodelle endgültig aus den Werften, wanderten auf den Müll oder in Kellerbars. Nur wenige sind erhalten geblieben und können heute im Museum betrachtet werden.

Im Yachtbau vermochte das Halbmodell diese prägende Rolle nicht einzunehmen. Neben pekuniären Aspekten traten vermehrt neue Antriebskräfte in Erscheinung. Kapitalkräftige Eigner fühlten sich zunehmend von Ruhm und Ehre getrieben und nicht mehr nur von wirtschaftlicher Vernunft. Sie wollten auch auf dem Wasser standesgemäß aufwarten. Ihre Aufträge gingen an gut ausgebildete Spezialisten, die mit feiner Feder höchst detaillierte Zeichnungen als Bauvorlage liefern konnten und so eine ganze Branche prägten. Das Halbmodell hingegen übernahm andere Funktionen. Der begnadete Konstrukteur machte seinen Entwurf, auch indem er die Güte der Form mit dem Gefühl seiner Finderspitzen nach dem von ihm eigenhändig gefertigten Halbmodell beurteilte. Er nickte erst, wenn der Strak perfekt war. Nat Herreshoff zum Beispiel fertigte eigenhändig über 500 (!) solcher Halbmodelle.

Mit dem langsamen Verlust seiner ursprünglichen Funktionen beginnt der Einzug des Halbmodells in die Wohnzimmer der Eigner und in die Clubhäuser. Das Modell verlässt die Ebene des unverzichtbaren technischen Hilfsmittels und wandelt sich zum Kunstobjekt. Nicht mehr das Original ist es, das nach dem Modell entsteht, sondern das Modell umgeht das Konstruktionsbüro und wird jetzt nach dem Original gefertigt. Neben dem traditionellen schlichten Rumpfmodell aus Holz mit eingelegtem andersfarbigem Wasserpass und deutlichen Gebrauchsspuren beginnt die Zeit der mehrfarbigen perfekten Lackierungen. Über die reine Darstellung der Rumpflinien hinaus treten weitere Stilelemente in Erscheinung: der Mast natürlich als Fragment (hier scheiden sich die Geister ob abgebrochen oder elegant abgesägt), es folgen die Aufbauten bis hin zur Reling und einer vollständigen detailgetreuen Beschlagausstattung. Letztere waren ursprünglich den Vollmodellen vorbehalten, wie wir sie aus den Vitrinen in hanseatischen Makler- oder Reedereikontoren kennen, und die einen anderen kulturellen Ursprung haben.

Der Bau eines Halbmodells stellt für den Bootsliebhaber die wohl perfekte Fusion von kreativer Betätigung und feinem Handwerk dar. Die Beschäftigung mit dem Modell weckt das tiefere Verständnis um die Konstruktion. So wie der Lehrling auf der Bootswerft mit dem Bau eines Halbmodells bewies, dass er die Zeichnung verstanden und sich ihm die Umsetzung vom Riss zum Original und umgekehrt erschlossen hatte. Der genauen zielgerichteten Sichtung der Risse, dem Weg in die winterliche Halle am Tag vor Weihnachten, um vielleicht fehlendes zu ergänzen, folgt die Übertragung auf das vorbereitete Holz und die Ausarbeitung des Rumpfes. Hat der Modellbauer gründliches Studium betrieben und sauber vorgearbeitet, stimmen Rumpflinien von Modell und Original überein. Und tatsächlich fühlen die Fingerspitzen spätestens beim Feinschliff den Strak - oder aber die Stelle, die einer Nachbearbeitung bedarf.




12mR Thea



Aschanti III


Folkeboot


Jolly Eule


Pirat

Zum Wintertreffen hatte der Freundeskreis im Foyer des Museums eine kleine Ausstellung von Halbmodellen aufgebaut, die nicht museal den Gebrauchsgegenständen der Werften entstammten, sondern der Ära des Kunstobjektes zuzuordnen sind. Neben zahlreichen Exponaten aus dem Fundus von Jürgen Oltmann wurden verschiedene Leihgaben aus Privatbesitz gezeigt, die teilweise erstmals aus diesem Anlass von ihren Plätzen in den Wohnstuben abgehängt worden waren. Mein Dank gilt allen Mitwirkenden, vor allem Jürgen Oltmann, der in der Nähe von Bremen dem Beruf des Modellbauers nachgeht (und sich auf der Hanseboot ganz in unserer Nähe präsentiert). Die Ausstellung sollte auch zum Bau eines Halbmodells – natürlich der eigenen Yacht – anregen, zur langen Freude des Eigners, aber auch um so ein kleines Stück Kulturgeschichte fortzuschrieben. Der Modellbauer findet übrigens bei seiner Recherche gute und bewährte Hinweise zu zahlreichen handwerklichen Details, die durchaus zur Nachahmung anempfohlen werden. Sie sind sie äußerst hilfreich, die Frustquote an der Werkbank erheblich zu reduzieren.



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