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"Ruppin" - Pirat G 761
Eberhard Voigt: Meine Jollen |
Nein, mit einem silbernen Löffel im Mund bin ich nicht geboren. Wir lebten in Berlin und meine Mutter war berufstätig, weil mein Vater früh gestorben war. Mit meinem Bruder verlebte ich damals, in den 30er Jahren, unbeschwerte Sommerferien bei den Großeltern in Neuruppin. Die besaßen dort ein Siedlungshaus, nur 200 m vom See entfernt. Großvater war Handelsschiffskapitän gewesen und hatte nun an einem Privatsteg im Schilf ein 12-ft-Dinghy liegen. Im Frühjahr zog er los in Badehose und festem Schuhwerk und rodete sich seinen Hafen frei. Groß manöverieren konnte er darin nicht, dazu war es zu eng, und bei Westwind fuhr er den Aufschießer zum Anlegen mitten ins Schilf hinein. Ich war wohl 9 oder 10 Jahre alt, als ich zum ersten Mal mit auf den See durfte. Bei Großvater konnten man Segeln lernen, und mit ihm kippte man nicht um. Wie das ging, hatte ich bald spitz: Heraushängen wenn die Bö kommt, Schrick in die Schot und zur Not in den Wind schießen, so dass auf keinen Fall Wasser über die Kante einsteigt - das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Nach einigen Sommern durfte ich dann schon mal alleine los. Wie alle Jungs damals kam ich in die Hitlerjugend, Marine natürlich. Da wurde eine Art vormilitärische Ausbildung betrieben. Unser Leiter, ein Korvettenkapitän, ließ mich aber des öfteren laufen, damit ich auf dem Neuruppiner See die Regatten mitsegeln konnte. Zur Konfirmation bekam ich dann von meiner anderen Großmutter ein eigenes Boot geschenkt, eine Olympia-Jolle: O-G 477. Ich weiß noch genau, wie wir im September 1939 das Boot in einer Werkstatt in Zeuthen abholten. Der Krieg hatte gerade begonnen und der Vorbesitzer, ein Tischler, begann zu weinen als die Sprache darauf kam. Mein Onkel schimpfte über diesen Weichling und ich, damals gerade mal 16 Jahre alt, konnte das auch nicht verstehen. Im nächsten Jahr auf dem See war ich natürlich der Größte. Welcher Heranwachsende wünscht sich nicht, mit dem Hintern auf der eigenen Planke einhand übers Wasser zu flitzen! O-Jollen waren damals das schnellste Einmannboot und die modernste Jollenklasse überhaupt. Einen Sommer dauerte der Spaß aber nur, denn 1941 ging ich als 17-Jähriger von der Schulbank weg zur Marine. 1944 habe ich das Boot in einem Schuppen gelagert und es dann nie wiedergesehen. Im Frühjahr 1945 verlegten wir mit unserem neuen U-Boot von Danzig nach Flensburg und versenkten es dort nach der Kapitulation. Die Besatzung ging an Land und schaute, wo ein Unterkommen war. Ich traf es ganz gut, denn ich habe damals meine Frau gefunden und blieb in Flensburg. Später kam auch meine Mutter mit meinem Bruder nach Norden, mit nichts als dem Koffer in der Hand. Fast 1 Million Flüchtlinge, besonders aus Pommern und Ostpreussen, hatte es damals nach Schleswig-Holstein verschlagen. - Und was nun? Studieren war nicht, da hätte ich erst einmal das Abitur nachholen müssen. Außerdem hätte ich als ehemaliger Marineoffizier nur Lehrer oder Pastor werden können, und das lag mir überhaupt nicht. So begann ich denn eine Augenoptiker-Lehre. Das passte auch irgendwie zum Umgang mit Glas und Periskop in Kriegszeiten zuvor. So ganz füllte mich das Lehrlingsdasein jedoch nicht aus. Die Lust zum Segeln war geblieben. So beschloss ich, mir ein Boot selbst zu bauen. Gegen Ende der 30er hatte Carl Martens 2 Scharpies für den Selbstbau entworfen, das Kükenboot (5 qm) und den Piraten (10 qm). So etwas traute ich mir schon zu. Über die "Yacht" fand ich zu den Plänen für die Piratenjolle, und 25 DM gingen dafür an die Witwe Martens. Geeignetes Holz entdeckte ich in Angeln bei einem Bauern. Einige 6 m lange Eichenbohlen wurden mir nach Flensburg geliefert und vor unserer Mietwohnung auf der Straße abgelegt. Zwei Fahrräder hintereinander und die Bohlen auf die Pedale gelegt, so ging es zum Sägewerk. Einen Bauplatz fand ich unter dem Dach eines Lagerhauses für 5 DM monatlich. Nägel, Schrauben und Kupfernieten gab es jetzt, nach der Währungsreform, wieder zu kaufen. Nun ging es ans Bauen. Die Spanten nach den Plänen herzustellen war nicht allzu schwierig, und die Helling für den Kiel bekam ich auch noch selber hin. Beim Aufstellen und Ausrichten der Spanten auf dem Kiel half mir ein arbeitsloser Bootsbauer für 5 DM in der Stunde - viel Geld damals. Dann habe ich alleine weitergearbeitet. Es war schon manchmal langwierig, besonders beim Hobeln der Sponung anhand eines Schablonensatzes. Etwa 1 Jahr hat es gedauert, dann war der Rumpf bis auf das Deck fertig - und passte natürlich nicht durch das Treppenhaus oder die Bodenluken. Es gab aber im Giebel eine Tür und unterm First einen Kranbalken mit Laufkatze, wie das eben so ist bei einem alten Speicher. Den Kiel musste ich durchbohren, um das Boot mit einem Drahtstropp anschlagen zu können, und dann ging es 4 Stockwerke hinab auf die Straße. Beim Flensburger Segel-Club in der Halle baute ich das Boot fertig. Es bekam ein Deck aus Gabun. Die Beschläge fertigte mir ein alter Freund in seiner Werkstatt kostenlos, der Mast war von einem Bootsbauer und den Baum stellte ich selber her. Im ersten Satz Segel wurde mein altes O-Jollen-Segel verarbeitet. Zu Himmelfahrt 1952 was es dann soweit: Das Boot wurde auf den Namen "Ruppin" getauft und ging zu Wasser. Es war immerhin so genau gearbeitet, dass es von einem amtlichen Vermesser abgenommen wurde. Beil G-761 "Ruppin" segelte recht ordentlich und gewann bei seiner ersten Wettfahrt den ersten Preis unter 5 Booten. Und das als Eigenbau - Mann, war ich stolz!Später bei Regatten auf der Schlei konnten wir natürlich nicht mithalten mit den neuen Werftbauten, aber unseren Spaß hatten wir immer. Auf der Schlei habe ich auch im Urlaub mit meiner Frau und unserer kleinen Tochter gesegelt. Da wir keinen Trailer hatten, habe ich mit meinem Bruder das Boot dorthin gesegelt. Das waren nicht immer Spazierfahrten. Bei frischem Ostwind durch die Geltinger Bucht gegenan und dann mit seitlicher See vor der offenen Küste von Angeln, oder auf der Rücktour gegen westlichen Wind aufkreuzen, das wuchs sich schon manchmal zur Arbeit aus. Anfang der 60er mussten wir unseren Wohnsitz aus beruflichen Gründen nach Köln verlegen, und wieder einmal war es vorbei mit der Segelei. Das Boot habe ich meinem Bruder überlassen. Was daraus geworden ist? Das ist ein betrübliches Kapitel - ich will das mal als Missverständnis umschreiben. Jedenfalls fand mein Bruder das Boot eines Tages zu ofenhandlichen Stücken zersägt vor. Das war im Jahre 1967. Ich habe dann 20 Jahre wenig gesegelt, auch als wir in Kiel heimisch wurden. Es gab wirklich Wichtigeres. Gleich nach der Wiedervereinigung aber zog es mich nach Neuruppin, und mit einem Bekannten zusammen legte ich mir einen 15er Jollenkreuzer auf den See. Es hat wieder richtig Spaß gebracht, aber von Kiel mit dem Auto mal eben zum Segeln bis kurz vor Berlin, das macht man nicht alle Tage. Meinen Anteil habe ich schließlich abgegeben. Nun bin ich in Rente gegangen. Im letzten Jahr auf der In-Water-Boot blieb ich an einem neu gebauten 12-ft-Dinghy hängen - wie mein Großvater eines hatte. Das hätte ich wohl gerne gekauft, aber die Vernunft siegte dann doch. Für ein Drittel des Preises habe ich mir jetzt einen älteren 15er zugelegt, 1970 in der DDR für den Westexport aus Mahagoni-Vollholz gebaut. Ein richtig gutes Boot, und für das Mittagsschläfchen ist so eine Kajüte ja auch nicht schlecht. Damit ich einhand besser auf dem Vorschiff zurechtkomme, will ich noch eine Rollfock nachrüsten. Einen Liegeplatz habe ich auch, an der Schlei! Auf eines werde ich dort wohl aber verzichten müssen: Keine Aufschießer mehr ins Schilf! |
Taufe und erste Ausfahrt |
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