"O'HAI" - Haiboot

Text: Michael Möller; Foto: Yachtbild Kai Greiser



Erinnerung aus der Kindheit

Als kleiner Junge schaute ich immer gerne das Schwarzweißphoto mit der Segelyacht O`HA I unseres Großvaters an, welches in dem Arbeitszimmer meines Vaters hing. Darauf war ein Hai-Boot zu sehen, das von seiner Familie in den dreißiger Jahren auf dem Settinger Haff bei Ueckermünde gesegelt wurde. Unser Vater erzählte, daß er mit seinem Bruder und Vater 1939 mit dieser Yacht noch rund Rügen gesegelt war. Wie sportlich das Segeln damals gewesen sein muß – kein WC, kein Warmwasser, keine Dusche, kein Kocher an Bord, bei nur zwei Kojen mußte einer im Vorschiff auf den Segelsäcken schlafen – konnte ich mir nicht vorstellen. Von Stehhöhe in der Kajüte konnte keine Rede sein. Das Bild von diesem Hai-Boot blieb in meinen Gedanken erhalten.



Die Yacht wird wieder entdeckt

Als ich 1990 mit meinem Vater zum ersten Mal nach Ueckermünde fahre, erwähnt er, daß er dort eine Segelyacht entdeckt habe, die wie das alte Hai-Boot seines Vaters aussehe. Er hat die Yacht photographiert und zeigte mir das Photo. Da tauchte wieder die Erinnerung an das alte Bild auf. Ich möchte das Boot gern mit eigenen Augen sehen; im Herbst 92 ist es soweit. Sie liegt am Steg des Segelclubs Vorpommern in Ueckermünde wie verlassen in einer Box an der Uecker. Ins Achterdeck ist eine Öffnung gesägt, die nicht verschlossen ist. Wasser steht im Rumpf und bedeckt das Kielschwein und die Spanten fast bis auf Kojenhöhe. Die Inneneinrichtung fehlt, ebenso wie die Duchten im Cockpit, wo ein Zweitaktmotor mit Welle eingebaut ist. Bis zu diesem Tag habe ich nie darüber nachgedacht, daß es unser Familienboot wirklich noch geben könnte. Nun möchte ich natürlich wissen, ob es tatsächlich die Yacht meines Großvaters ist. Ich beginne zu recherchieren: Ältere Bürger Ueckermündes bestätigen mir unabhängig voneinander, daß dieses Boot früher einmal meinem Großvater gehört hat. Auf diesem Weg erfahre ich auch, daß der momentane Eigner die Yacht verkaufen will. Wir haben sie im März 1993 gekauft.

Die Geschichte der O`HA I

Die O`HA I wurde 1935/36 bei P.C.Schaarstein in Kiel-Dietrichsdorf gebaut. Von dort hat sie auch ihren Namen, denn Schaarstein nannte seine Boote gern so. 1938 kaufte sie mein Großvater und ließ sie Ueckermünde zu Wasser. Bis 1943 wurde sie von ihm im Settinger Haff gesegelt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird die O`HA I russische Kriegsbeute. Im Hafen liegend säuft sie zwischen 1947 und 48 dreimal ab. Zuletzt wir sie von jemanden, der für die russische Besatzung dolmetschte, gehoben; dafür darf er sie segeln. Ende der vierziger Jahre nimmt ein Segler aus Settin die Yacht mit nach Greifswald, nachdem er sie von dem Dolmetscher gekauft hat. Der Eigner übergibt sie 1975 seinem Sohn der, der die O`HA I 1983 an einem Segler aus Ueckermünde weiterreicht. Dann wechselt sie noch einmal ihren Eigentümer, bis sie wir endlich übernehmen.

Technisches der O`HA I

Aus einem Schrank holt mein Vater Farbdias aus den dreißiger Jahren, die die O`HA I bei der Ankunft auf einem Eisenbahnwagen zeigen. Dabei findet er einen Zettel, auf den sein Bruder die Liekenmaße aller Segel geschrieben hatte. Danach hatte unser Boot vier Vorsegel – ein einziges hat sie jetzt. Und mit dem Meßbrief der DDR verglichen wir noch so manch andere Maße. Der Großbaum ist einen halben Meter zu lang. Vor- und Achterstag sind zu weit vor- und achterlich angebracht. Deck und Rumpf sind noch original aus Oregon-Pine, ebenso die Aufbauten aus Mahagoni. Das Deck ist mit Glasfasermatten belegt.

Allgemeines zum Hai-Boot

Das Hai-Boot ist eine finnische Einheitsklasse. Entworfen in den dreißiger Jahren von Gunnar L. Stenbäck, wird sie noch heute in Finnland gesegelt.
Die Suche nach Informationen zum Hai-Boot gestaltet sich schwierig. In den dreißiger Jahren wurde oft über diese Klasse in der YACHT berichtet. Zu den Olympischen Spielen hoffte man, sie als olympische Klasse segeln zu können. Doch daraus wurde ebenso wenig, wie aus dem Versuch, eine nationale deutsche Klasse zu bilden. Zu groß war die Konkurrenz der Wal-Boote und Schärenkreuzer, auch wenn anläßlich der Kieler Woche 1936 – wie später in den Fünfzigern – eigens eine Hai-Boot-Regatta durchgeführt wurde.
Das Archiv des DSV ist im Krieg ausgebrannt; in dem Nachkriegsregister stehen jedoch sechs Hai-Boote. Alle sechs Eigner habe ich angeschrieben, eine einzige Antwort habe ich von einer netten alten Dame aus Kiel erhalten. Sie berichtete, daß sie mit ihrem Mann bis in die sechziger Jahre begeisterte Hai-Boot-Segler waren: „... verglichen mit dem anderen Segeln war das Hai-Boot-Segeln einfach Spitze.“
Nach dem Krieg entstanden bei Schaarstein weitere Hai-Boote, sie waren jedoch bei gleicher Breite und Tiefgang nur noch 9,15 m lang – eine Auflage der englischen Besatzer. In Flensburg liegt das vor dem Krieg in Finnland gebaute Hai-Boot RAN (Länge 9,60 m). Die MOSQUITO von K. Heide und M. Genz liegt im Rüschkanal in Hamburg-Finkenwerder (gebaut 1947, Länge 9,15 m). Ein weiterer Hai wird zur Zeit an der Schwentine restauriert. Unsere O`HA I dürfte eines der letzten vor dem Krieg in Deutschland gebauten Hai-Boote mit Originallänge von 9,60 m sein.
Im Archiv der YACHT fand ich einen Riß aus dem Jahre 1939. Er ermöglichte uns die Takelage wieder originalgetreu anfertigen zu lassen. Mittlerweile haben wir weitere Informationen vom finnischen Seglerverband erhalten. Nun liegen uns sogar die Konstruktionszeichnungen vor.

Das Segeln mit der O`HA I

Im Sommer 1993 segelten wir zum ersten Mal mit der (noch) nicht restaurierten O`HA I auf dem Oder-Haff. Wir waren schon nach kurzer Zeit so vertraut miteinander, als hätten wir viele gemeinsame Törns erlebt. Und allmählich fing ich an zu verstehen, wie herrlich das Segeln früher gewesen ist: So nah an Wasser und Wind, so schnell und leicht.
Bei leichtem Wind zieht sie auf und davon. Ab 5 Bft. geht die O`HA I immer noch weich in die Welle. Die Yacht krängt sehr über. Wenden wollen schnell und beherzt durchgeführt werden, denn der Lateralplan des Unterwasserschiffes liegt weit achtern. Wer im Wind im Wendemanöver liegen bleibt, den treibt es auf den alten Bug zurück.
Die nächsten Jahre wollen wir die O`HA I wieder auf dem Settinger Haff segeln. Dort war die Yacht und dort gehört sie hin. Wenn man ihr zuhört und tief durchatmet, hört man ihre Geschichte und riecht die Menschen, die alle mit ihr gesegelt sind.

Restaurierung

1994 ist die O`HA I von uns nach Tallinn, Estland, gebracht worden. Bei TOP- Yachts ist sie komplett restauriert worden. Der Bootsbauer – er ist 70 Jahre alt – kennt Hai-Boote noch aus seiner Jugend und freute sich sehr, ein Hai-Boot restaurieren zu dürfen.
Das Deck und die erste Lage Planken wurden neu gelegt. Die Aufbauten wurden in Mahagoni nachgebaut. Die Inneneinrichtung wurde komplett neu gebaut. Wir haben ein Schiebeluk anfertigen lassen. Einige Bolzen an der Ruderanlage und im vorderen Bereich des Kiels wurden abgedichtet. Der Spiegel mußte ausgebessert werden. Das Ruderblatt wurde neu hergestellt. AB Sails aus Tallinn lieferte neue Segel – der Eigentümer dieser Firma ist Alexander Tschutschelov, der Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele von 1962 im Finn-Dinghi. Mast und Großbaum wurden neu erstellt. Einzig bei den Beschlägen sind wir dem Trend der Zeit gefolgt und haben HARKEN-Beschläge montiert. Und schließlich wird die O`HA I in Zukunft wieder ohne Motor segeln, nur dem Wind und Wellen gehorchend.
Die komplette Segelsaison `95 sind wir in der Bucht von Tallinn gesegelt. Selbst zu viert an Bord (zwei Erwachsene, zwei Kinder) kommt kein Gefühl der Enge auf. Und mit spielerischer Leichtigkeit segelt selbst unser Sohn Sascha (12) die Yacht seines Urgroßvaters. In der Kajüte fanden wir sogar für unsere kleine Tochter (I) Platz. Eine Saison werden wir wohl noch oben in Estland bleiben. Dann wollen wir einer Einladung des finnischen Hai-Boot-Seglerverbandes folgen und mit unsrer O`HA I nach Naantali segeln.
Ein weiteres Hai-Boot, das im Peutehafen auf einem Trailer stand und vor sich hin rottete, haben wir auch nach Estland gebracht. Es ist ein kurzer Typ (9,15 m) aus der Zeit um 1947/48. ZZ. wird es gerade von Kiel auf neu in Oregon Pine und Mahagoni gebaut. Da die Finnen ihren Hai-Booten immer einen Namen geben, der etwas mit den Haifischen zu tun hat, kam unser Sohn auf die Idee, dieses Boot SHARK-ATTACK zu taufen
Aus unserem Mitgliederheft Nr.6, das Titelfoto zeigt die inzwischen fertig gestellte "Shark Attack".
Hinweis: Zur ergänzenden Information können Sie hier einen Artikel Michael Möllers und Kai Greisers abrufen, der die Grundlage für die Haiboot-Veröffentlichung in der "Yacht" im Januar 2001 bildete.

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