"Passat" - 75 qm Nationaler Kreuzer

Text, Fotos: Dr. R. Volz

Passat, O 4, LüA: 11,96 m, B: 2,7 m, T: 1,5 m, V: 5,3 t,
Konstrukteur: Naglo, Werft: Engelbrecht 1913, Baumaterial: Mahagoni

1913 wurde im Auftrag von S. Kaiser eine 75 qm Nationale Kreuzeryacht auf der Werft C. Engelbrecht (Inhaber Fritz Naglo) in Zeuthen in der Mark südöstlich von Berlin gebaut. Im Frühjahr des Jahres fand der Stapellauf der „Boreas“ statt, welche fortan die Segelnummer O-4 trug (Archiv des VSaW / DSV-Jahrbuch 1916).

S. Kaiser segelte die Yacht auf allen für sie offenen Regatten auf den Berliner Revieren erfolgreich. Das Schiff war im Jahr 1913 beim Verein Seglerhaus am Wannsee beheimatet. S. Kaiser ließ im folgenden (1914, 1917 und 1921) die Schiffe Boreas II-IV bauen, welche die Segelnummern O-17, O-23 und O-34 trugen. 1924 verstarb S. Kaiser.

Der Kaiserliche Yacht Club in Kiel erwarb 1914 die Yacht. Sie lief dort unter dem Namen „K“ und diente dem Club als Clubyacht, welche von den Mitgliedern zu Fahrten und Regatten gemietet werden konnten. (Es existierten damals noch zwei weitere Clubyachten „Y“ und „C“).

Im DSV-Jahrbuch 1919 (Dez. 1918) findet sich die Schlüsselnotiz: „K“ ex „Boreas“.

Die Yacht wurde 1925 von Gaffel auf 62qm Slup umgetakelt. Der kurze Gaffelmast wurde angeschäftet und hochgetakelt. Fortan lief das Schiff unter dem Namen „Möwe“ beim KYC.

Die Schlüsselnotiz „Möwe“ ex „K“ findet sich in „Die Yacht“ Nr. 19/1925 S.12

Der neu gegründeten gemeinsamen Schulungsgruppe des KYC und KSV (Kieler Segler Vereinigung) wurde die „Möwe“ 1927 als eine der ersten Ausbildungsyachten zur Verfügung gestellt.

Im Mitteilungsblatt des KYC, Juni 1928, S.48 findet sich ebenfalls die Schlüsselnotiz: „Möwe“ ex „K“.

Im Jahrbuch des KYC von 1934 findet sich der Eintrag: „Die „Möwe“ hat ihre Pflicht getan, sie ist alt und nicht mehr vollwertig zu reparieren.“ Trotz allem erfolgt eine Generalüberholung der Yacht.

Im Mitteilungsblatt des KYC vom März 1935 steht: „Möwe“ erfreute sich 1934 starken Zuspruchs. Im Mitteilungsblatt des KYC vom Mai 1935, S. 5 findet sich die folgende Notiz: „aus einem alten Nat. 60er umgebaut, im Winter 1934 grundüberholt“.

1936 wurde das Schiff wohl im Rahmen der Olympischen Spiele in Heikendorf (Winterlager des KYC) an Land gestellt und wartete auf einen neuen Eigner und bessere Zeiten.

Hannes Habermann aus Düsseldorf erwarb 1941 die „Möwe“. Von nun an segelte die Yacht unter dem Namen „Jan Wellem“ auf dem Rhein beim Düsseldorfer YC. Das Schiff trug die Segelnummer VIII 190. In den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges wurde die „Jan Wellem“ auf dem Rhein bei Düsseldorf bei Tieffliegerangriffen unter der Wasserlinie getroffen und sank. Doch schon im Mai 1945 wurde das Schiff wieder gehoben und instand gesetzt.

Ab 1954 schwamm die Yacht wieder im Salzwasser. Unter dem Namen „Karin“ lag das Schiff von Otto Zöllner, der das Schiff erworben hatte, im Kieler Yacht Club. Es erfolgte eine Generalüberholung auf der Werft Mathiesen & Paulsen. Wegen der Kosten entstand ein Disput zwischen Otto Zöllner und dem Voreigner Hannes Habermann wegen angeblicher “versteckter Mängel” beim Kauf. Das Schiff führte nun die Segelnummer VIII 499.



Der 60qm Seefahrtskreuzer „Karin“ wurde 1963 an den Bodensee verkauft und fand in Meersburg seinen neuen Heimathafen. In der Meersburger Segelschule diente die Yacht wieder - wie 1914 - der Ausbildung junger Segler. Der Segelschulbesitzer K. Kragler gab dem Schiff den neuen Namen „Passat“.

Der heutige Eigner übernahm 1965 die Segelschule Kragler in Meersburg und mit ihr das Segelschulschiff „Passat“. Die Yacht diente weiterhin der Ausbildung von Segelschülern, wurde aber auch vermehrt zum Fahrten- und Familiensegeln genutzt.



1972 sollte die “Passat” aufgrund des schlechten Zustandes verkauft werden. Ein Käufer war bereits an Bord und der Preis ausgemacht, als der kleine Sohn des Eigners unten im Schiff herzzerreißend zu weinen anfing. Der potentielle Käufer riet dem Vater, “wenn der Familie so viel an dem Schiff liege, solle er sich den Verkauf noch einmal zu überlegen”. Dieser Rat fand ein offenes Ohr. So wurde im Herbst und Winter des Jahres 1973 die Passat generalüberholt und wieder zu einem 75qm Nationalen Kreuzer aufgerüstet. Das komplette Deck wurde erneuert. Desweiteren mussten die Unterwasserplanken und zahlreiche Spanten ausgetauscht werden. Da auch nach intensiven Nachforschungen die Original- Segelnummer nicht zu ermitteln war, beschließt der Eigner, fortan die Jahreszahl der Renovierung als O- Nummer zu benutzen. Die „Passat“ wurde so zur „O-73“. Die Suche nach der Geschichte und Segelnummer. wurde weiterhin fortgeführt.

1974 wurde die Regattatätigkeit aufgenommen. Anfänglich im Mittelfeld und letzten Drittel zuhause, arbeitete sich die “Passat”-Crew kontinuierlich nach vorne. So folgten schließlich 1996, 1998 und 2001 drei Bodenseemeistertitel .

Bei der Langstreckenwettfahrt Rund um den Bodensee 1997 ging die „Passat“ als 11. Schiff über alles und erster 75er über die Ziellinie. Sie gewann darüberhinaus den Bayrischen Löwen des Ministerpräsidenten Edmund Stoiber in Porzellan für die schnellste Traditionsyacht, sowie den „Diamant-Wanderpreis“ für das schnellste Holzboot.

Die Ranglistenwertung konnte die “Passat”-Crew 1996, 1997, 1998, 2001 und 2002 gewinnen.

Im Winter 2001/2002 konnte nach 30jähriger Suche mit Hilfe des Internets, des Yachtsportarchivs, der Zeitschrift “Die Yacht” sowie der Archive des Kieler Yacht Clubs und des Verein Seglerhaus am Wannsee die Geschichte der “Passat” lückenlos aufgeklärt werden. Beim Ausbau der alten Kupfer-Lenzpumpe fand sich am Oberrand aufgemalt der Buchstabe “K”. Ein Hinweis auf den früheren Namen ab 1914 beim KYC?

Heute wird die “Passat” bereits in der zweiten und dritten Familiengeneration gesegelt.


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