"111 Jahre jung"

Bernd Cordes: "Winifred"



Wir schreiben das Jahr 1901 - in Berlin weiht der Kaiser die Siegesallee ein, in Stockholm werden das erste Mal Nobelpreise vergeben und Eduard VII folgt seiner Mutter Victoria auf den Thron. In diesem Jahr wird auf der Albert Yard in Cowes eine Yacht gebaut.
Auftraggeber ist der wohlhabende Hamburger Pelzhändler Edmund Nordheim, der Konstrukteur ist Charles Sibbick, auch Eigentümer der Albert Yard. Nordheim tauft die Yawl auf den Namen „Winifred“ und segelt mit ihr recht erfolgreich auf Elbe und Ostsee. Nach kurzer Zeit wird er die Yacht allerdings wieder verkaufen, denn er lässt nahezu alle zwei Jahre ein neues Schiff bauen.

Ein Sprung in das Jahr 1994. Edmund Beck segelt seit 1986 einen selbst restaurierten Bornholmer Gaffelkutter, nun sucht er eine neue Herausforderung. Auf der Suche nach einem neuen Objekt seiner Leidenschaft fährt der britische Yachtmakler Peter Gregson mit ihm an den Fowey River in der Grafschaft Devon. Schon beim fernen Anblick der Yacht, die dort an der Muring liegt, gerät Edmund in Begeisterung, spontan sagt er: „Oh Peter, that’s my boat!“. Nach kurzer Verhandlung ist Edmund glücklicher Eigner der Yacht, die früher „Winifred“, mittlerweile „Nedda“ heißt. Die Yacht war nach ihrem Verkauf nach England zurückgekehrt und hatte mehrmals den Besitzer, den Namen und die Takelage gewechselt, je nach Vorliebe der Eigner für Yawls oder Kutter.


Alte Fotos: Yawl geriggt, Regattateilnahme in Cowes, Kutter geriggt...

Edmund Beck segelt die Yacht nach Egernsund, auf der dänischen Seite der Flensburger Förde. Bei Christians Baadebyggeri stellt er die „Nedda“ für die nächsten zwei Jahre an Land, denn die alte Dame verlangt nach einiger Pflege. Und sie soll, soweit möglich, in ihren Originalzustand zurückversetzt werden. Dazu gehört die Umrüstung auf die alte, noch vorhandene Pinne und der Umbau des Decks, das Skylight, das vor der Pinne stand, soll wieder an seinen angestammten Platz. Dazu besorgt sich der neue Eigner Original-Pläne und benutzt Fotos von Beken of Cowes zur Rekonstruktion. Bei der Beschäftigung mit den Details lernt er die gute Arbeit von Charles Sibbick und seinen Leuten bis ins letzte Detail kennen. Sibbick (1849-1912) war ursprünglich Baumeister, erst im Alter von 40 Jahren gründete er seine Werft und begann Boote zu konstruieren und zu bauen. Insgesamt waren es 300 Boote, im Jahr 1894 baute er allein 15 Yachten. Bekannt waren seine Schiffe für hohe Qualität und Schnelligkeit, Merkmale, die wohl auch Edmund Nordheim veranlasst hatten, die „Winifred“ bei ihm in Auftrag zu geben.


Alte Verkaufsunterlagen: Preis 4000 Pfd.

Über Sibbick werden zwei besondere Geschichten berichtet: Prinz George, Herzog von York, der spätere König, gab bei Sibbick den Racer „White Rose“ in Auftrag - einen „Rater“, so wurden die Vorläufer der Sonderklasse, die im Solent gesegelt wurden, genannt. Allerdings mit einer Bedingung, die für Sibbick eine größere Herausforderung war: Die Yacht musste innerhalb von einer Woche fertiggestellt sein. Sibbick nahm den Auftrag an – Montag früh begannen die Arbeiten. Es wurde in Schichten rund um die Uhr gearbeitet, parallel dazu stellte der Segelmacher Lapthorpe die Segel her. Am Samstag lief das Boot vom Stapel und gewann prompt Silber bei der Regatta des Castle Yacht Clubs.
In der zweiten, traurigen Geschichte geht es um den Tod von Charles Sibbick: Im Jahr 1912 ruderte er an einem nebligen Wintertag in der Morgendämmerung aufs Meer. Das Boot wurde leer aufgefunden, die Leiche von Sibbick tauchte einige Wochen später in der Hafeneinfahrt auf.

Bei der Restaurierung der Yacht veranstaltet Edmund Beck auch unter Deck einiges: Der gesamte Innenausbau wird nach alten Plänen und aus altem Holz neu getischlert – hier profitiert der Restaurator von seiner Herkunft, denn Vater Beck war Schreinermeister. Dies auch der Grund, das für Ede nur das Material Holz für ein Schiff in Frage kommt. Apropos Holz: Die „Winifred“ ist mit bestem Burma-Teak beplankt, zu Zeiten von Königin Victoria ein Material, das günstig aus den Kolonien importiert wurde. Die Planken der Yacht haben alle volle Länge, d.h. sie sind nirgendwo geschäftet. Bei 14,50 m Länge muss es schon ein sehr langer Teakbaum gewesen sein, aus dem die Planken geschnitten wurden. Unter das verkleinerte Cockpit baut Ede an Backbord eine Achterkammer mit Doppelkoje und an Steuerbord eine Seekoje ein. Beim Abziehen des Rumpfes taucht der alte Name der Yacht, „Winifred“ wieder auf, diesen Namen soll sie von nun an wieder führen.


Fotos Kai Greiser, www.yachtbild.de

Nach zwei Jahren intensiver Arbeit macht sich Ede Beck ans Segeln in den dänischen Gewässern und genießt den Platz und den Komfort, den die Yacht bietet. Das nächste größere Ereignis um „Winifred“ geschieht dann 1997. Ein Jahr zuvor hat er auf einer Geschäftsreise bei einem Espresso in der Flughafenlounge Britta kennengelernt. Britta kommt eigentlich aus Eckernförde und hat dort als Teenager unter Vaters Kommando das Segeln gelernt. Beim Probesegeln im Haderslebenfjord auf „Winifred“ zeigt sie ihr Können, auch ihre Söhne Lennert und Christopher fühlen sich an Bord wohl. Sogar so wohl, dass ein Jahr später, und zwar an Bord, geheiratet wird. An der Pinne hält der Trauzeuge Kurs zwischen Langenballig und Broacker, während das Paar im Cockpit die Ringe tauscht, die notwendigen schriftlichen Modalitäten werden dann unter Deck am Salontisch erledigt. Anschließend wird, bei gutem Wind, noch ein wenig mit allen Hochzeitsgästen auf der Förde gesegelt.


Foto Kai Greiser, www.yachtbild.de

Inzwischen ist die Familie Beck von Oberfranken in die Nähe von Flensburg umgesiedelt, „Winifred“ liegt während der Saison im Flensburger Historischen Hafen und wird häufig auf dem Wasser bewegt, wenn auch für den Geschmack des Eigners zu wenig. Für dieses Jahr hat er sich allerdings etwas ganz Besonderes vorgenommen: Mit „Winifred“ wird er am Highlight der diesjährigen ‚German Classics‘ in Laboe teilnehmen, dort begehen „Heti“, „Aage“ und „Tilly XV“ ihren Hundertsten, es feiern mit: „Kong Bele“ (1879), „Arvon“ (1884)‚ „Willow Wren“ (1886) und „Peggy Bawn“ (1894). Und nicht zuletzt die beiden Sibbick-Bauten „Giga“ und „Whimbrel“ von 1899, die beiden sind sozusagen ältere Geschwister von
„Winifred“. In diesem illustren Feld von alten Schönheiten ist „Winfred“ dann die jüngste, trotz ihrer 111 Jahre.


Steckbrief „Winifred“

Baujahr: 1911
Konstrukteur: Charles Sibbick
Werft: Albert Yard, Cowes
Länge mit Klüverbaum: 16,50 m
Länge über Deck: 14,50 m
Breite: 3,30 m
Tiefgang: 2,30 m
Verdrängung: 17 t
Segelfläche am Wind: 125 qm


Edmund Nordheims spätere Yachten
Edmund Nordheim ließ nach der „Winifred“ seine Yachten vornehmlich von Alfred Mylne zeichnen. Mylne war Assistent des sehr erfolgreichen Konstrukteurs Lennox Watson, der für den Prince of Wales, den deutschen Kaiser und seinen Bruder Prinz Heinrich arbeitete. Watson starb 1904, Mylne machte sich selbständig, gebaut wurden seine Konstruktionen zumeist auf der Werft von Alexander Robertson in Sandbank.

1906 - „Scottie“, 35 ft ‚7 Segellängen-Yacht‘
gewann in ihren ersten beiden Regattasaisons 41 Rennen. „Sottie“ wird heute unter dem Namen „Illusion“ in Berlin in der dritten Generation von Familie Heckmann gesegelt, die sie 1946 in beklagenswertem Zustand für 500 RM erworben hat.

1908 - „Mungo“, 24,8 ft
wurde Ende April nach Hamburg verschifft, gewann Mitte Mai bereits das zweite Rennen auf der Alster. Sie hatte eine gute Saison, gewann 14 von 19 Regatten und wurde Klassensieger.

1908 - „Novena“ 34,5 ft
Lt. ‚The Yachtsman‘ vom 28.Oktober 1909: „Novena“ ist die mit Abstand schnellste 8-Meter Yacht auf den kontinentalen Gewässern. Bei 21 Starts gewann sie 11 erste Preise.

1910 - „Decima“ 33,6 ft
Edmund Nordheims Mylne-Design lag an der Spitze der 8-Meter-Klasse in Kiel (1910). Ihre Resultate bei 33 Starts: 19 erste, 3 zweite und 4 dritte Plätze. Diese Ergebnisse erzielte sie in einem Feld von 13 Yachten, einschließlich neuer Boote von Fife, Linton Hope, von Hacht und Anker.‘

1912 - „Pampero“ - 51,9 ft
Auch dies eine schnelle und erfolgreiche Yacht, sie gewinnt die Internationale Regatta 1912.


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